Die Gamescom 2017: eine medienpraxeologische Vignette
a.r.t.e.s. EUmanities-Fellow Susanne Ebner berichtet von Deutschlands größter Spielemesse
von Susanne Ebner
Als die Messe an diesem sonnig-heißen Mittwoch im August öffnet, tummeln sich schon hunderte GamerInnen vor den Eingängen. Es geht nur langsam voran. In kleinen Schritten bewegt sich die Menschentraube vorwärts. Die meisten Besucher sprechen Deutsch miteinander, doch auch Englisch und Spanisch ist zu hören. Viele sind aufgeregt, manche ungeduldig. Die Gespräche kreisen insbesondere um eine Frage: Was sollte zuerst oder unbedingt gespielt werden?
Als Digital-Journalistin und Medienanthropologin war die Gamecom 2017, die jährlich in Köln stattfindende Messe für interaktive Unterhaltung, für mich natürlich ein Pflichttermin. Dabei interessierten mich vor allem folgende Fragen: Welchen Einfluss haben die Räumlichkeiten, die Umgebung, also das Messegelände selbst auf die Besucher? Und wie wichtig sind ihnen die neuen Spiele, die ja eigentlich im Zentrum der Messe stehen, tatsächlich? Zu Beginn meines Messebesuches musste ich deshalb vor allem eine Frage klären: Wie kann ich die Erfahrungen der GamerInnen überhaupt einfangen? Eine Möglichkeit wäre gewesen, sie auf ihrem Weg über die Messe zu begleiten. Doch meine Anwesenheit hätte der Ergebnisse verfälscht. Deshalb entschied ich mich für einen Mittelweg: „so offen wie möglich – so verdeckt wie nötig“.
Ich näherte mich also einer Gruppe junger Menschen im Eingangsbereich an und erzählte ihnen – in groben Zügen – von meinem Vorhaben. Unbewusst hatte ich wohl eine Auswahl getroffen, denn es handelte sich um „Cosplayer“. Sie anzusprechen war einfacher, denn sie exponierten sich durch ihre Kostüme ganz ohne mein Zutun. Sie erklärten sich bereit, ihre Tour über die Gamescom zu filmen, zu fotografieren und zu beschreiben. Die Ergebnisse sollten sie mir per WhatsApp übermitteln.
Tatsächlich boten mir die Fotos, Kommentare und Videos der Gruppe einige erhellende Einsichten, die ich nun, ergänzt durch eigene Erfahrungen und durch Berichte weiterer, vor allem jugendlicher Besucher, schildern möchte.
Erste Station: der „Merch“-Stand
Die erste Station, das hatten mir die Jugendlichen schon angekündigt, sollte nicht etwa der Stand eines Spieleherstellers, sondern das „Merch“ sein. „Merch“ steht für „Merchandise“ und umfasst beispielsweise Kleidung, Kuscheltiere und Kostüme, die mit fiktiven Charakteren der Spielewelt bedruckt oder ihnen nachempfunden sind. Merch spielt offenbar nicht nur für Cosplayer, sondern für GamerInnen im Allgemeinen eine große Rolle. Ein Jugendlicher sagte mir hierzu: „Hier [also auf der Messe] findet man Dinge, die man sonst nirgendwo anders kaufen kann.“
Interessant an dieser Schilderung ist nicht nur, dass die Jugendlichen besonderen Gefallen daran finden, etwas zu erwerben, dass es sonst so offenbar nirgends gibt. Bemerkenswert ist auch, dass es sich bei den Merchandise-Artikeln eben nicht um digitale Inhalte handelt. Ganz im Gegenteil: Die Produkte, die dort angeboten werden, sind flauschig, kuschelig, kantig – haptisch eben. Es ist diese Materialität, die nicht nur in diesem Fall auf der Gamescom eine wichtige Rolle spielt. Denn auch die Cosplayer selbst sind ein Versuch, fiktionale Personen real werden zu lassen, sie zu verkörpern.
Im Anschluss an ihren Besuch beim Merch-Stand, so schildern die Jugendlichen „sind wir erstmal einfach weiter geirrt und haben versucht, uns zu orientieren“. Auch diese Beschreibung scheint mir sehr wichtig zu sein. Denn ein Besuch bei der Gamescom ist eine große Herausforderung: Es existieren knapp ein Dutzend Hallen mit mehreren Nebenräumen. Die Orientierung ist schwer. Da hilft laut den Angaben der Jugendlichen auch der Plan und die App nicht unbedingt weiter. Oft genug lässt man sich einfach treiben – von Menschen, Schildern, Geräuschen und dem, was vor einem liegt.
Und noch etwas prägt den Besuch bei der Gamescom ganz entscheidend: der Sound. Wie laut es in den Hallen ist, zeigt der Umstand, dass die Jugendlichen teilweise davon ausgehen, dass man sie in den Videos gar nicht verstehen kann. Auch aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Geräuschkulisse den Besuch bei der Gamescom prägt. Das kann der Jubel des Publikums sein, wenn an einem Stand T-Shirts oder Spiele verschenkt werden, der Trailer eines neuen Computerspiels oder das Raunen Tausender Menschen, die versuchen, sich in der Halle zu unterhalten.
Treffpunkt Flur
Die Kombination aus vielen Reizen, der Orientierungslosigkeit und natürlich der Lautstärke führt dazu, dass insbesondere die Flure der Gamescom, in denen es kühler, leiser und heller ist, zu einem Treffpunkt avancieren. Hier können sich die Jugendlichen austauchen und ausruhen. Ein Jugendlicher bestätigte mir den Wert des Flurs als Kontaktzone. Die BesucherInnen kommen hier schnell ins Gespräch, reden über Spiele und nutzen gemeinsam „Handhelds“ wie die Nintendo Switch.
Nachdem sich meine Gruppe ausgeruht hat, macht sie sich wieder auf den Weg - „auf die Suche nach dem ‚Cosplay Village‘“. Dies ist ein Bereich, der – wie der Name schon sagt – insbesondere für Cosplayer interessant ist. Dort angekommen fanden die Jugendlichen eine Band, wie sie selbst schreiben. Sie dokumentieren dies durch ein Video, welches sowohl die wild hüpfenden verkleideten Musiker als auch das überwiegend sitzende Publikum zeigt.
Cosplay-Bühnenshows spielen im Rahmen der Gamescom auch außerhalb des Village eine wichtige Rolle. Gäste verkleiden sich als DarstellerInnen eines Konsolen-, Desktop- oder auch Online-Spiels. Die Kostüme sind hier oft sehr aufwendig und in Eigenarbeit hergestellt worden – teils leuchten oder bewegen sie sich. Das beeindruckendste Kostüm wird prämiert – und vom Publikum bejubelt.
Auch jenseits von Shows ist die Stimmung auf der Gamescom ausgelassen. Die wenigsten, so scheint es, starren hier ausschließlich auf Bildschirme – auch weil die Schlangen insbesondere bei beliebten neuen Spielen oft viel zu lang sind. Was die Gamescom ausmacht, passiert am Rande von Events und neben Bühnen und Ständen: Hier sind die Interaktionen zwischen den Besuchern von Offenheit, Hilfsbereitschaft und Gemeinschaft geprägt. Und das nicht trotz, sondern auch weil man die größte Spielemesse der Welt ihre Besucher regelmäßig überfordert.