Dissertationsprojekt von Esther von Stosch
Westöstliche Dingimaginationen: Perspektivierungen materieller Hybridität in persischen und deutschen Narrativen des Mittelalters
Historische Aufarbeitungsversuche zum komplexen Verhältnis zwischen Europa und dem Nahen und Mittleren Osten werden in der Regel über den Blick auf Kolonialerfahrungen und ihre Fortwirkungen vorgenommen. Dabei bleiben die vielfältigen kulturellen, wirtschaftlichen und kriegerischen Beziehungsgeflechte der Räume im Mittelalter überwiegend unbeachtet. Dies steht im Kontrast zu der Fülle (impliziter und expliziter) literarischer Auseinandersetzungen mit islamisch geprägten Regionen und ihren Bewohner*innen. In diversen mittelhochdeutschen Erzähltexten fallen ambivalente orientalistisch anmutende bewundernd paradiesische und stigmatisierend monströse Imaginationen zusammen und formen eine konventionelle Konstruktion, die sich mit Homi Bhabha kultur- und identitätstheoretisch als hybrid fassen lässt.
Dieses Promotionsprojekt widmet sich solchermaßen hybriden Strukturen in ihrer materiellen Ausgestaltung. Konkret geht es um die ,Dinge‘, die die Heldinnen und Helden auf ihren (abenteuerlichen) Wegen umgeben und die – im Sinne der jüngeren Dingforschung – ihre Handlungsmacht in Bezug auf Figuren-, Raum- und Narrativkonstitutionen entfalten. Eine hybride Dinglichkeit mit Bezugnahme auf mittelalterspezifische Orientalismen in mittelhochdeutschen Texten des hohen Mittelalters wird dazu mit zeitgenössischen persischen Narrativen kontextualisiert und kontrastiert. Es ergeben sich folgende Forschungsfragen, die auf die Ergründung einer kulturübergreifenden Erzählkonventionalität materieller Hybridität abzielen: Welche unterschiedlichen Konventionen weisen die mittelhochdeutschen und persischen Narrative im Blick auf die textuellen Verdichtungen von Materialität, Held und Raum auf? Inwieweit kann Materialität dabei als hybride Konstruktion für Konventionen mittelalterlichen Erzählens transkulturell konzeptualisiert werden? Wie gestaltet sich schließlich der Zusammenhang zwischen Abenteuernarrativen und Orientalismen in der mittelhochdeutschen Literatur und inwiefern finden sich parallele Projektionsprozesse in persischen Kontexten?
Die interdisziplinäre, transkulturelle und transhistorische Perspektivierung hybrider Dingimaginationen in deutscher und persischer mittelalterlicher Erzählliteratur erschließt einen neuen Blick auf die vormoderne Erzählkunst und ihre Konventionen – und möchte damit nicht zuletzt ein umfassenderes Verständnis aktueller Beziehungen, Zuschreibungen und Diskurse erreichen.
Kurzbiografie
Esther von Stosch studierte Deutsche Sprache und Literatur sowie Sprachen und Kulturen der islamischen Welt in Köln und Paris. Als Teil der interdisziplinären Forschungsklasse UNESCO Welterbe führte sie ihr Forschungsprojekt zu Geschichts- und Erinnerungskonstruktionen im Sommer 2018 zudem nach Jerusalem. Sie arbeitete als studentische Hilfskraft und Tutorin am Orientalischen Seminar, später als wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für deutsche Sprache und Literatur (Lehrstuhl Prof. Dr. Schausten/PD Dr. Hammer), wo sie zuletzt die Poetikdozentur TransLit organisatorisch begleitete. Seit April 2021 ist von Stosch Kollegiatin des Graduiertenkollegs 2212 Dynamiken der Konventionalität (400-1550). Im Rahmen ihres geplanten Doppelabschlusses absolvierte sie hier zunächst ein akademisches Jahr im PhD Programm Transcultural German Studies der University of Arizona. Das Dissertationsprojekt zu kulturübergreifenden Erzählkonventionen in persischer und deutscher Literatur des Mittelalters wird von Prof. Dr. Monika Schausten (Altgermanistik) und Prof. Dr. Katajun Amirpur (Iranistik) betreut.
Kontakt: estoschuni-koeln.de
https://grk2212.uni-koeln.de/personen/kollegiatinnen-1/esther-von-stosch
Publikationen
"Zwischen Welten: Hybride Figuren und ihre religiösen Überformungen im persischen Schāhnāme und im deutschen Wigalois", in: Katajun Amirpur [u.a.] (Hg.): Kölner Islamwissenschaftliche Beiträge (Abschlussarbeiten), Bd. 6, Köln 2022, S. 1-72.
"Kulturelle Verflechtungen im Parzival: Inszenierung von Reichtum und Wissen als islamische Aspekte höfisch-christlicher Erzählwelten", in: Annemarie Profanter (Hg.): Kulturen im Dialog VI. Sechstes JungakademikerInnen-Forum in Südtirol 2019, Berlin 2022, S. 127-142
Vorträge
"Mit Rat und Tat durch die Welt(en). Geratene Wege und differierende Ratgeberfiguren in mittelhochdeutschen und persischen Alexanderbearbeitungen", Beratungsszenarien – Inszenierungen der Entscheidungsfindung in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, 16.–18. Februar 2023, Ludwig-Maximilians-Universität, 17. Februar 2023.
"Transcultural Conventions of Material Hybridity in Persian and German Medieval Literature", Hybridity – 2022 Cambridge AHRC International Conference, 20.–21. September 2022, St. Catharine’s College, Cambridge, 20. September 2022.
"Peripheral Views on the Mediterranean: Material Hybridity in Middle High German and Persian Narratives of Alexander the Great", Mediterranean Connections and its Asymmetries: Medieval and Early Modern German Literatures in the Context of the Mediterranean World, International Workshop with Sharon Kinoshita (University of California, Santa Cruz), Freie Universität Berlin, Special Research Center 980 "Episteme in Motion", 07. September 2022.
"Wiederholung und Varianz in mittelalterspezifischen Orientalismen", Wiederholung und Konventionalität in der Kunst, Workshop des Graduiertenkollegs 2212: Dynamiken der Konventionalität (400-1550), 16.–17. Juni 2022, Universität zu Köln, 17. Juni 2022.