Dissertationsprojekt von Paula Vosse
Experimentelle Ausdrucksformen: Visuelle Gestaltung als literarische Technik (Arbeitstitel)
Das Projekt folgt der Idee, dass die physiologischen (Helmholtz), psychologischen (Wundt) und psychoästhetischen (Münsterberg) Experimente und Ergebnisse der naturwissenschaftlichen Forschung des 19. Jahrhunderts die Wahrnehmung des Menschen analysierbar und mit ihrer Aufzeichnung auch materiell werden lassen. Neben der Ausdeutung der Reaktion auf gegebene Gestaltung in der Wahrnehmungspsychologie etablieren sich zeitgleich mit Illustrierten, Werbung und Plakaten auch Medien der visuellen Kommunikation, die rezeptionsästhetisch arbeiten und auf eine Wirkung durch ihre formale Gestaltung abzielen. Das Dissertationsprojekt untersucht eine solche rezeptionsästhetische Ausrichtung der typographischen Form im traditionellen Medium des gedruckten Texts zwischen 1913/14 und 1929.
Mit diesem Ansatz werden die textuellen Formexperimente in Heinrich Lautensacks Zwischen Himmel und Erde (1913/14), Else Lasker-Schülers Plumm-Pascha (1913/14), Laszlo Moholy-Nagys Dynamik der Gross-Stadt (1921/22) und Heinrich Eduard Jacobs Blut und Zelluloid (1929) als Steigerung des visuell erfassbaren Raums der bedruckten Seite lesbar. Die Beispiele stellen Versuche dar sich in der neuen visuellen Öffentlichkeit zu positionieren und überraschen dabei in ihrer Vielfältigkeit. Den ausschlaggebenden Faktor für die kreative Formvarianz der Beispiele stellt in allen zu untersuchenden Texten das Medium Film dar. Als Drehbuch, Film-Skript oder Roman mit filmischer Vorlage setzen sich Werke direkt mit der technischen Beschaffenheit des Films auseinander und offerieren so die Möglichkeit eines direkten formästhetischen Vergleichs.
Anhand der Beispiele wird eine Versuchsreihe praktischer Ästhetik im deutschsprachig gedruckten Text nachvollziehbar. Das kreative Ausprobieren mit intratextuellen Raum- und Zeitverschiebungen durch visuelle Markierungen lässt sich durch Werke wie James Joyces Ulysses (1922), John Dos Passos´ Manhattan Transfer (1925) oder William Faulkners The Sound and the Fury (1929) auch als zeitgenössisch international vertretenes Phänomen begreifen, was die Relevanz der vorliegenden Untersuchung untermalt. Denn gerade unter Einfluss des Bauhauses werden in Deutschland Gestaltung und Design als praktische Künste entwickelt und die Form neben dem Inhalt als autonome Qualität eines Werks erarbeitet. Die wahrnehmungsphysiologischen, -psychologischen und psychoästhetischen Experimente des 19. Jahrhunderts dienen der sich hierin abzeichnenden Form-Inhalt-Problematik des Textes als potentielle Grundlage neuer Formästhetik und der Film als technischer Motivator. Ergebnis dieser Versuche sind nicht zuletzt neue praxisorientierte Disziplinen der Gestaltung wie Typographie und Design, sondern auch die räumliche Erweiterung des Literarischen. Das Promotionsprojekt skizziert frühe Versuche dieser visuellen Gestaltung als materiell-literarische Technik nach.
Kurzbiografie
Paula Vosse studierte Kunstgeschichte sowie deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Köln, der Karlsuniversität in Prag sowie der Washington University in St. Louis. Seit 2016 nahm sie auch am Research Master-Programm von a.r.t.e.s. teil. Im Laufe ihres Studiums war sie in organisatorischen, wissenschaftlichen und lehrenden Bereichen der Universitäten angestellt. An der Washington University schloss sie 2018 ab und begann im Rahmen des „Predoc“-Stipendiums im Wintersemester 2018/19 mit der Vorbereitung ihres Promotionsvorhabens. Seit dem Sommersemester 2019 ist Paula Vosse a.r.t.e.s.-Stipendiatin im Integrated Track und wird von Nicolas Pethes (Köln) und Anton Kaes (Berkeley) betreut. Nach ihrem Forschungsaufenthalt an der UC Berkeley unterrichtet sie derzeit in Köln und ist am Lehrstuhl von Thiemo Breyer tätig.
Kontakt: p.vosse(at)uni-koeln.de
Veröffentlichungen
Literarische Filmsimulation: Heinrich Eduard Jacobs medienphilosophische Filmästhetik in Blut und Zelluloid (1929), Mai 2018, Washington University in St. Louis (https://openscholarship.wustl.edu/art_sci_etds/1293/).
Judith Butler | Albertus-Magnus-Professur 2016 „Verletzlichkeit und Widerstand neu denken“, Juli 2016, stellwerk-magazin.
Schwarz-Weiß, Juni 2016, schliff N°5.
Rezension: Gediegenes und Kurioses, Mai 2016, stellwerk-magazin.
Vom Japonismus zum Zen. Paul Klee. Japan-Blicke oder schlangenartiger Dackel, Januar 2015, stellwerk-magazin.
Vorträge
„Mediation in einem multimedial funktionierenden Roman: Sebalds Möglichkeiten der Informationsweitergabe in Die Ringe des Saturn“, 26.07.2018, Berkeley-Cologne Summer School „Aesthetic Possibilities: Literature, Rhetoric, Philosophy“ zu dem Thema „Bildung: Form und Möglichkeit“.
„Next to the Kanon - A Proposition for a Different Way of Reading Text and Style“, 03.03.2018, Graduate Student Symposium des Department of Germanic Languages and Literatures, Washington University.
Lehrveranstaltungen
Sommersemester 2020
Konservative Avantgarde? Literatur, Kultur und Politik im frühen 20. Jahrhundert, gemeinsam mit Nicolai Busch, Universität zu Köln
Frühling 2018
Teaching Associate in German Literature (340) mit Prof. Paul Michael Lützeler an der Washington University in St. Louis, MO.
Herbst 2017
Teaching Associate in German Philosophy (341) mit Prof. Kurt Beals an der Washington University in St. Louis, MO.
Veranstaltungsorganisation
Ausstellungskonzept, -organisation und -druchführung des a.r.t.e.s. kunstfenster 2019/20: „Echo“
Stipendien und Gastaufenthalte
Februar – August 2017: Erasmus-Stipendium und Gaststudium an der Karlsuniversität Prag
August 2017 – Mai 2018: Stipendium und Teaching Associate an der Washington University in St. Louis, MO.
Oktober 2018 – April 2019: Pre-Doc Stipendium der a.r.t.e.s. Graduate School
Januar 2019 – heute: Promotionsstipendium der a.r.t.e.s. Graduate School
Februar – Mai 2020: Forschungsstipendium des Anneliese Maier-Forschungspreises mit Gastaufenthalt an der UC Berkeley, CA.
Titelbild: Paula Vosse (Foto: Maksym Gontov) // Portraitfoto: Patric Fouad