Tabea Thies ist Stipendiatin im Integrated Track und Mercator Fellow bei a.r.t.e.s.. Sie promoviert im Fach Phonetik mit einer Arbeit zum Einfluss von Levodopa und tiefer Hirnstimulation auf die Sprechdynamik von PatientInnen mit Morbus Parkinson. Mit ihrem Promotionsvorhaben möchte sie zum Wissen im Bereich krankheitsbedingte Sprachveränderungen im klinischen Alltag beitragen.
Das neue Mercator-Stipendium fördert Praxis- und berufsfeldbezogene Promotionen an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. Ziel ist es durch eine einjährige Praxisphase Forschung, Praxis und Gesellschaft miteinander zu verbinden.
Ich habe Tabea im virtuellen Raum getroffen, um mehr über ihre vielversprechende Arbeit und die Praxisphase in Zeiten von Corona zu erfahren.
Simona Böckler (SB): Liebe Tabea, Du beschäftigst Dich in Deiner Dissertation mit einem sehr spannenden Thema an der Schnittstelle zwischen Phonetik und Neurologie. Worum geht es in Deinem Projekt? Inwiefern haben Praxis- und Gesellschaftsrelevanz eine Rolle bei der Themenwahl gespielt?
Tabea Thies (TT): In meinem Dissertationsprojekt untersuche ich die Sprechmotorik von PatientInnen mit Morbus Parkinson. Dazu benutze ich eine spezielle Aufnahmemethode, die elektromagnetische Artikulographie, bei der Sensoren auf Lippen und Zunge befestigt werden, um Sprechbewegungen abzubilden. Morbus Parkinson ist eine immer weiter fortschreitende Erkrankung, welche sich jedoch behandeln lässt. Während motorische Symptome, wie Tremor oder Bewegungsarmut, unter Therapie unterdrückt werden, können Sprechprobleme als ungewollte Nebenwirkungen auftreten. Ich versuche die Zusammenhänge zwischen Sprechproblemen und den neurologischen Ursachen sowie den Therapieoptionen zu erforschen. Ziel ist es, die Therapiemöglichkeiten für PatientInnen zu optimieren. Mir war es von Anfang an sehr wichtig, dass meine Forschung praktische Anwendung findet.
SB: Als Mercator-Stipendiatin wirst Du ein Praxisjahr an der Klinik und Poliklinik für Neurologie des Kölner Universitätsklinikums absolvieren. Was wirst Du in der Praxisphase genau machen?
TT: Durch die Pandemie sowie durch die aktuell geltenden Infektionsschutzmaßnahmen im Uniklinikum musste ich meine bisherigen Pläne anpassen, da die aktive Mitarbeit in verschiedenen Abteilungen nicht möglich ist. Eigentlich wollte ich die LogopädInnen innerhalb der Neurologie in ihrem Alltag begleiten, Therapiestunden mitgestalten sowie das logopädische Assessment selbst durchführen und ggfs. überarbeiten. Allerdings sind die LogopädInnen bedingt durch die Pandemie in Kurzarbeit und können keine zusätzliche Kraft betreuen. Zudem ist die Anzahl an Mitarbeitenden pro Abteilung auf ein Minimum beschränkt. Ich werde nun andere Studien unterstützen und weitere (Sprach-)Daten erheben. Bei einer Studie wollen wir herausfinden, ob sprechmotorische Defizite bereits bei PatientInnen mit einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung zu finden sind und dies als prodromales Symptom für Morbus Parkinson gelten kann. In diesem Fall wäre eine Früherkennung der Erkrankung durch eine Sprechanalyse möglich. Zudem habe ich die Möglichkeit bei der Austestung der im Gehirn implantierten Elektroden mitzuwirken und die Einstellungen (Stromstärke, -frequenz) der Tiefen Hirnstimulation, die zu einer Verschlechterung des Sprechens führen zu identifizieren, um anschließend Behandlungsempfehlungen auszusprechen. Außerdem möchte ich die Anwendbarkeit einer auf wissenschaftlichen Daten basierten Software, den „Dysarthria Analyzer“, im klinischen Alltag an Patienten mit Bewegungsstörungen testen und, falls sich das Programm bewährt, das reguläre logopädische Assessment um diese Analyse erweitern.
SB: Covid-19 stellt aktuell viele ForscherInnen vor große Herausforderungen. Inwiefern wirkt sich die Pandemie auf Deine stark praxisorientierte Forschung aus?
TT: Ich befinde mich noch in der Datenerhebungsphase. Durch den Ausbruch der Pandemie musste ich überlegen ob und unter welchen Bedingungen ich eine Weiterführung der Studie vertreten kann – gerade weil ich im Gesichtsbereich des Patienten/der Patientin arbeite. Von der Uniklinik wurde vorgeschrieben ein Hygienekonzept zu entwickeln, durch das eine kontrollierte Fortführung der Studie ermöglicht wird. Nun trage ich FFP2-Masken, lüfte so oft es geht, verzichte auf den Techniker der die Aufnahmen sonst begleitet hat und desinfiziere nicht nur die Untersuchungsmaterialien und meine Hände, sondern auch Tische, Stühle, Laborgeräte und Türklinken. Nichtsdestotrotz wurden viele Termine seitens der PatientInnen verschoben oder letztlich abgesagt. Das hat zur Folge, dass sich meine Stichprobengröße verringert hat. Darüber hinaus hat sich der Umgang mit den PatientInnen durch zusätzliche Regeln und auch durch den Abstand verändert.
SB: Welche Chancen und Probleme ergeben sich durch die Wahl eines Praxispartners wie das Kölner Uniklinikum in Zeiten der Pandemie?
TT: Eine Chance ist definitiv, dass man relativ normal weiterarbeiten kann, während das Leben in so vielen anderen Bereichen still steht - darin besteht aber auch die Diskrepanz. Jedes Erkältungssymptom wird bewertet, da man niemanden anstecken möchte. Ständig überlegt man sich, ob man doch besser einen Coronatest machen soll, um mit gutem Gewissen in die Klinik zu fahren. Mittlerweile hat man sich daran gewöhnt überall Maske zu tragen, Symptomtagebücher zu führen, alleine Mittag zu essen und wenn es geht von zuhause zu arbeiten. Trotz allem ist das Infektionsgeschehen nicht kalkulierbar und die Auswirkungen nicht planbar, sodass oftmals spontan umdisponiert werden muss. Als bspw. die Infektionszahlen stark zunahmen, musste ich meinen Testraum auf einer leerstehenden Station freigeben, da räumliche Kapazitäten für COVID-19-Patienten dringend benötigt wurden.
SB: Welchen Mehrwert für Deine persönliche Entwicklung und berufliche Qualifizierung siehst Du durch die Praxisphase bzw. durch die Synergie zwischen Theorie und Praxis, die sich hieraus ergibt?
TT: Es ist eine gewinnbringende Erfahrung sich in neuen Strukturen eines großen Unternehmens zurechtzufinden und dort die interdisziplinäre Zusammenarbeit zu forcieren. Zusätzlich ist es eine Herausforderung in einem durch PatientInnen bestimmten Alltag Dinge zu planen sowie neue Wege einzuleiten. Durch den Praxisbezug habe ich die Möglichkeit die Anwendbarkeit meiner Forschungsergebnisse voranzutreiben sowie an Forschungsarbeit über mein eigenes Projekt hinaus mitzuwirken. Vorteilhaft ist für mich in jedem Fall der intensive Kontakt zu den PatientInnen und der Erkenntnisgewinn über die weitreichenden Folgen der Erkrankungen sowie die neurologischen Grundlagen. Darüber hinaus erweitere meine zwischenmenschliche Kompetenz und erlerne die Berücksichtigung ethischer Aspekte beim Forschen.
SB: Liebe Tabea, Ich möchte mich ganz herzlich für den sehr interessanten Einblick in Deine Arbeit bedanken und wünsche Dir weiterhin alles Gute für Dein Promotionsprojekt.