"Follow the Horses!"
Ein Bericht aus der ethnologischen Feldforschung in Ägypten
von Christoph Lange
1 Jahr Feldforschung in Ägypten – unter Pferden! Dank eines großzügigen DAAD-Stipendiums konnte ich mich im April 2015 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter im a.r.t.e.s. Research Lab beurlauben lassen, um dieser Aufgabe nachzugehen. Ziel war, mein Promotionsprojekt über die „Genealogien & Stammesgeschichten arabischer Pferde – Eine vergleichende Netzwerkanalyse des transkulturellen Milieus arabischer und westlicher Züchter, Händler & Pferde-Liebhaber“ in die ethnologische Praxis umzusetzen.
Seit 2012 hatte ich während mehrerer kurzer Aufenthalte in Ägypten Kontakt zu verschiedenen Züchtern herstellen können. Auch auf die Tahawi – eine Gruppe von im östlichen Nildelta (Sharqiya) lebenden Beduinen, die die Traditionen ihrer Vorfahren pflegen und bekannt sind für die Zucht ihrer arabischen Pferde – war ich aufmerksam geworden. Auf sie konzentrierte ich mich in der ersten Phase meines Aufenthalts, um dann im Anschluss getreu meinem von Bruno Latour inspirierten Feldforschungsslogan „Follow the Horses“ nach Kairo zu den dort ansässigen Züchtern zu reisen und die internationalen Beziehungen der translokalen Netzwerke zu untersuchen.
Auf dem ägyptischen Staatsgestüt al-Zahraa versuchte ich, dessen Rolle als zentrale Registrierungsstelle zu verstehen, die alle Pferde-Transaktionen zwischen den über 800 offiziell registrierten ägyptischen Züchtern kontrolliert sowie jegliche Im- und Exporte von arabischen Pferden überwacht. Die größte Herausforderung, mit der die offiziellen Vertreter des Staatsgestüts und alle Privatzüchter aktuell umzugehen haben, ist ein genereller Export-Ban aller Pferde aus Ägypten in die EU, dem auch alle Nicht-EU-Staaten folgen, die sich an EU-Richtlinien orientieren. 2010 inspizierte eine EU-Kommission die allgemeine Gesundheitslage sowie die vorhandenen Registrierungs- und Kontrollverfahren der Pferde Ägyptens und suspendierte daraufhin alle Pferde-Importe in die EU aufgrund mangelnder oder fehlender staatlicher Kontrollmechanismen in der Registrierung von Pferden und der Überwachung und Prävention von ansteckenden Krankheiten.
Mein zweites großes Feld betrat ich parallel zu meiner Forschung auf dem Staatsgestüt: Die Rennställe und Pferderennbahnen Ägyptens. Die Rennen finden aufgrund der mangelnden Qualität keinerlei internationale Beachtung und auch national sind sie weitestgehend unbekannt; so konnte ich viele Ägypter und in Ägypten lebende Ausländer alleine mit dem Fakt verblüffen, dass jeden Samstag Pferderennen stattfinden. Diese Unpopularität oder ‚negative Öffentlichkeit‘ ist vermutlich dem Umstand geschuldet, dass die sehr umstrittene Praxis der Pferdewetten zwar von der ägyptischen Regierung geduldet wird, doch in einer mehrheitlich muslimisch geprägten Gesellschaft als äußerst problematisch angesehen wird.
Die beiden Milieus der Rennbahnen und der Privatzüchter scheinen sich auf den ersten Blick stark zu unterscheiden. Letztere formen eine elitäre, einkommensstarke und geschlossene Tauschgemeinschaft arabischer Pferde mit meist guten und essentiellen Verbindungen in das globale Züchternetzwerk. Erstere hingegen, ihre Akteure und besonders die Reichweite der adressierbaren Öffentlichkeit bleiben lokal. Sie führen sogar ob der zwielichtigen Wettgeschäfte eine Art Schattenexistenz, die sich besonders im Publikum auf der Rennbahn widerspiegelt, das sich „aus Halunken, Dieben und dem Bodensatz der ägyptischen Gesellschaft“ zusammensetzt, wie einer meiner Informanten selbstironisch attestiert. Bei einem genaueren Blick findet man jedoch auch auf der Rennbahn internationale Verflechtungen. Einige der Preisgelder und besondere Rennen werden beispielsweise von der wohlhabenden Elite am arabischen Golf gesponsert, dazu kommen einige stille Teilhaber an und Besitzer von Rennpferden aus Saudi Arabien, Irak und den Golfstaaten.
Mit dem Blick auf die translokalen Verflechtungen sind es die Stallburschen, Broker, Pferde-Trainer und Tierärzte, die sich als professionelle Experten in allen Bereichen zugleich bewegen, miteinander bekannt sind und mir in unterschiedlichsten Kontexten immer wieder begegnet sind. Ihre Arbeit am und ihr Wissen um das Pferd schafft das Netzwerk, übersetzt zwischen den einzelnen Segmenten und integriert miteinander konkurrierende Interessen.