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Dissertationsprojekt von Alessandro Fino

Moralische Resilienz zwischen Theorie und Praxis. Plutarch und Moralpsychologie im Dialog

Die grundlegende Frage im vierten Forschungsjahr meines Promotionsprojektes „Charakter und Schicksal bei Plutarch. Eine komparative Studie über die Vitae und Moralia“ ist inwieweit medizinisches und pflegerisches Personal auf der Palliativstation, das zum Thema „Resilienz“ arbeitet und forscht, potenziell auf Plutarchs Philosophie zurückgreifen kann und darin Reflexions- und Handlungsmöglichkeiten für existenzielle Fragen und psychologische Ansätze findet. Die Definition des Begriffs der moralischen Resilienz ist in der Forschung uneinheitlich (Rushton 2018). Die verschiedenen Begriffsbestimmungen und Erklärungsversuche konvergieren jedoch in einem Punkt, nämlich in der Auffassung, dass moralische Resilienz eine psychische Fähigkeit sei, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen (Lang 2019).

Die Frage, die dieses Forschungsvorhaben erörtern möchte, ist, ob sich der Diskurs über Resilienz als moralische Fähigkeit eindeutig von der Frage abgrenzen lässt, die die antiken Philosophen, darunter Plutarch als wirkungsvoller und vorbildlicher Vertreter, gestellt haben. Sie fragten nach dem gelingenden Leben, nach „einem nicht banalen, nicht vermurksten, nicht bloß heruntergehaspelten Leben, das so durch die Tage schlittert, bis es aus ist (Achenbach 2010, 356).

Plutarchs Philosophie am Scheideweg zwischen modus vivendi (Hadot 2008, 150) und Philosophie als Therapie (Zacher 2015), weist in dieser Hinsicht eine Besonderheit in der Philosophiegeschichte auf: Sie befasst sich mit ethischen Fragen und moralischen Dilemmata in verschiedenen literarischen Formen, darunter auch im biografischen Genre. Sein Monumentalwerk – die Parallelbiographien – ist eine Charakterstudie, in der er zeigt, wie bekannte Persönlichkeiten der Antike die Vorzüge oder Schlichtheit ihres Charakters im Umgang mit Schicksalsschlägen, aber auch mit zufälligen Ereignissen erprobt haben.

Wenn resilienzspezifische Entscheidungen, Verhaltensweisen und Einstellungen einen nachhaltigen Denkprozess erfordern, stellt sich die Frage, inwieweit dann die Philosophie Plutarchs zur Reflexion beitragen kann. Letztlich geht es in diesem Forschungsprojekt um die Frage, ob und inwiefern ein Terrain für eine historisch-philosophische Verankerung des Resilienzbegriffs besteht (Gill 1985) und ob in dieser historischen Perspektive die moralpsychologische Forschung von Plutarchs Menschenkenntnis bzw. Weisheit profitieren kann. Diese Forschung wird in Zusammenarbeit mit der Klinik für Palliativmedizin am Universitätsklinikum Bonn und mit dem Klinikdirektor, Prof. Dr. med. Radbruch durchgeführt.

 

Sekundärliteratur

Achenbach, G.B. (2010). Zur Einführung der Philosophischen Praxis. Eine Dokumentation. Dinter, Köln.

Gill, C. (1985). „Ancient Psychotherapy. Journal of the History of Ideas, 46, S. 307-325.

Hadot, P. (2008). La filosofia come modo di vivere. Conversazioni. Einaudi, Torino.

Lang, U. (2019). Resilienz. Ressourcen stärken, psychisches Wohlbefinden steigern. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart.

Rushton, C.H. (2018). Moral Resilience. Transforming Moral Suffering in Healthcare. Oxford 2018.

Zacher, K.-D. (2015). „Plutarch. In B. Lutz (Hrg.), Metzler Philosophen Lexikon. Von den Vorsokratikern bis zu den neuen Philosophen. Verlag J.B. Metzler, Stuttgart, S. 563-565.

 

Kurzbiografie:

Alessandro Fino ist Doktorand an der A.r.t.e.s. Graduate School (Integrated Track) im Mercator Stipendienprogramn. Sein Dissertationsprojekt in antiker Philosophie trägt den Titel „Charakter und Schicksal bei Plutarch. Eine komparative Studie über die Vitae und Moralia“. 2021 schloss er einen dreijährigen Lehrgang zur philosophischen Praxis bei Dr. Gerd Achenbach erfolgreich ab. Im Jahr 2019 hat er den Master in Philosophie an der Universität zu Köln absolviert. Seine Forschungsinteressen liegen in den Bereichen Geschichte der Philosophie und Ethik.

 

Vorträge:

Fino, A. (07.2023). When Philosophy becomes Political. Some Remarks on Plutarchs De genio Socratis and Cato minor. 14th Celtic Conference in Classics, Coimbra, 11.-14. Juli 2023.

Fino, A. (09.2023). Die Bedeutung der Leidenschaften in Plutarchs Menschenbild. Zwischen Moralia und Vitae, zwischen Antike und Gegenwart. Internationaler Workshop „Plutarch and Emotions, Hamburg, 13.-14. September 2023.

 

Kontakt: finoalessandro@gmail.com