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Dissertationsprojekt von Wolfgang Lange

Der Diskurs der Beine. Das Zeichensystem der Capoeira
(Arbeitstitel)

Warum singen Schüler einer global verbreiteten Kampfkunst brasilianische Sklavenlieder und spielen Rhythmusinstrumente afrikanischer Provenienz? Warum führen zwei Schüler, die in der Mitte eines Kreises „kämpfen“, den diese Sänger und Musiker bilden, ihre Bewegungen genau im Takt, aber vorerst nur angedeutet aus? Einer weicht den Bewegungen des Anderen immer aus, geht darauf ein und antwortet mit einer passenden Gegenbewegung, so daß ein verschlungener Tanz entsteht, der wie ein mit Beinen und Körpern geführter Dialog anmutet. Die choreographisch wirkende Harmonie des frei improvisierten Bewegungsablaufes ist Teil eines theatralischen Spiels, das sich sowohl als metaphorischer Tanz, sowie auch als realer Kampf ereignen kann. Innerhalb des Kreises entfaltet sich ein räumlicher Diskurs aus konventionalisierten Zeichen, der den visuellen und haptischen Modus für seine körperlich-semiologische Performanz nutzt, gleichzeitig durch den auditiven Modus des musikalischen Kontextes bestimmt wird und eine pragmatisch ausdifferenzierte Bedeutung erlangt. Nur in dieser parergonalen Synthese können die Zeichen gelesen und geäußert werden und bilden ein multimediales Wissenssystem, das aus linguistischer Perspektive bisher kaum untersucht wurde. Dazu werden die Episteme der Capoeira zusammen mit ihren verschiedenen Zeichenrealisierungen, vor dem Horizont der Erforschung der Gebärdensprachen, auf ihre kommunikative Kapazität und kulturelle Semantik hin untersucht und klassifiziert, um diese Form brasilianischer Kunst als Kommunikations- und Zeichensystem zu konzeptualisieren. Den theoretischen Rahmen bildet die sprachliche Performanz, bei deren Untersuchung ein zeichentheoretischer und medientheoretischer Zugang zur nonverbalen und räumlichen Realisierung von Sprachzeichen als Spuren im Mittelpunkt steht. In der Verschränkung von linguistischer, neuropsychologischer, spachphilosophischer und kognitionsanthropologischer Perspektive soll die der Capoeira inhärente Generativität und Kreativität freigelegt werden, die einen erkenntnistheoretischer Einblick in die Formation humaner Kognition in der Echtzeit diskursiver Performanz bietet. In der Rückanwendung auf den linguistischen, wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskurs beabsichtigt eine Erforschung der Capoeira die Erkenntnisse zur Multimodalität, Transkriptivität, Medialität, Bildlichkeit und Räumlichkeit der menschlichen Interaktion zu erweitern.

 

Kurzbiographie

Geboren 1981 in Berlin; Studium der Allgemeinen Sprachwissenschaft, Ethnologie / Altamerikanistik und Historischen Geographie an der Universität Bonn; 2004, 2005, 2007/8 Auslandsaufenthalte, soziale Projekte und Sprachstudium in Venezuela, Kuba, Mexiko, Israel und Brasilien; Mai 2010 Magister Artium mit einer Arbeit zu Jacques Derridas "Spur"-Theorem in Wilhelm von Humboldts Sprachdenken; Seit Oktober 2011 Stipendiat der a.r.t.e.s.-Forschungsschule.

Kontakt: wo.lange(at)gmail.com

 

Portraitfoto: Roman Oranski