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Dissertationsprojekt von Johannes Heinle

Das Super-Wunderargument

Das Dissertationsprojekt soll eine Verbindung zwischen zwei augenscheinlich separaten Debattensträngen in der kontemporären Wissenschaftstheorie erforschen. Das ist zum einen die Debatte um die humesche Doktrin, der zufolge es keine de-re notwendigen Verbindungen respektive modale Fakten in der natürlichen Welt gibt. Diese Debatte betrifft die Grundlagen der Natur sowie der Naturwissenschaften. Und das ist zum anderen die Debatte um die materiale Theorie der Induktion, welche auf John D. Norton zurückgeht und die Grundlagen der Rationalität und Logik betrifft. Nach dieser Theorie werden induktive Schlüsse qua relevanter, lokaler Hintergrundfakten zuverlässig. Norton bringt viele - in meinen Augen überzeugende - Beispiele für diese Theorie, lässt uns aber im Unklaren darüber, was diese Hintergrundfakten als ein Typ von Fakten auszeichnet. Ich werde argumentieren, dass es sich bei diesen relevanten Fakten zumindest in einigen paradigmatischen Fällen um irreduzibel-modale oder modal grundierte Fakten handeln muss, ansonsten können diese die ihnen zugedachte Funktion nicht erfüllen. Infolgedessen steht der Humeanismus vor einer materialen Form des Induktionsproblems.
Das materiale Induktionsproblem kann man sich einfach an diesem Beispiel klarmachen. Denken wir uns nun an einen von David Lewis´ Raumzeitpunkten, an denen ein fundamentales Eigenschaftsvorkommnis (Ereignis) auftritt: Dann kann man im Rahmen der Relativitätstheorie für diesen Punkt P einen Lichtkegel definieren. Im Vergangenheitslichtkegel von P liegen alle und nur die Ereignisse, die in der relativen Vergangenheit von P liegen. Und in dem Zukunftslichtkegel von P liegen alle und nur die Ereignisse, die in der relativen Zukunft von P liegen. Nehmen wir nun an, wir können in den Vergangenheitslichtkegel (die relative Vergangenheit) von P blicken und beobachten eine Regularität der Form ∀x(Fx → Gx). Aufgrund dessen entwickeln wir ein Gesetz der Form L(∀x(Fx → Gx)). Dieses Gesetz unterstützt die Prognose, dass, wenn wir in den Zukunftslichtkegel (die relative Zukunft) von P blicken und dort ein a, das ein F ist, beobachten, dieses a auch ein G sein wird.
Jetzt verfügen wir über die konzeptuellen Mittel, um das materiale Induktionsproblem präziser auszubuchstabieren. Dieses besteht für das Fortschreiten in der Zeit darin, dass es im Humeanismus (qua definitionem) nichts geben kann, dass es festlegt, steuert, erzwingt, notwendig oder auch nur wahrscheinlicher macht, dass die Verteilung der Eigenschaften im Zukunftslichtkegel von P, der im Vergangenheitslichtkegel von P ähnlich sein wird. Das hat schwerwiegende Konsequenzen für die Prognose aus dem verfügbaren Gesetz L. Denn wenn wir gedanklich bei P stehen und in den Zukunftslichtkegel blicken, dann kann es zwar sein, dass das nächste a, das wir beobachten und das ein F ist, auch ein G ist. In diesem Fall ist das Gesetz L empirisch erfolgreich. Dieser empirische Erfolg ist im Humeanismus aber ein Wunder im Sinne eines absolut unerklärbaren Phänomens. Der Grund dafür ist das oben beschriebene materiale Induktionsproblem.  Man kann diesen Punkt auch so ausdrücken:  Die Entwicklung der Natur ist im Humeanismus primitiv, d.h. nicht durch etwas anderes erklärbar. A fortiori ist auch die Übereinstimmung dieser Verteilung mit den Prognosen aus unseren verfügbaren Gesetzen (d.h. ihr empirischer Erfolg) im Humeanismus prinzipiell nicht gehaltvoll (d.h. zirkelfrei) erklärbar.
Meine Forschungshypothese lautet, dass es sich bei dem materialen Induktionsproblem um das eigentliche und zentrale Problem des Humeanismus handelt. Zum einen werden viele altbekannte Probleme des Humeanismus durch das materiale Induktionsproblem motiviert und bestärkt. Zum anderen begründet das materiale Induktionsproblem ein neues und tiefgreifendes Problem des Humeanismus. Es stellt sich darin, dass der Humeanismus den empirischen Erfolg unserer verfügbaren wissenschaftlichen und alltäglichen Gesetzesannahmen nicht gehaltvoll erklären kann. Darauf aufbauend formuliere ich ein Super-Wunderargument, das im Kern in einer Inferenz von den bisherigen empirischen Erfolgen unserer verfügbaren Gesetzesannahmen auf die Wahrheit des Anti-Humeanismus besteht. Dieses Argument steht im Zentrum meiner Arbeit. Alles Weitere wird im Kontext dieses Argumentes diskutiert und illustriert. Zu diesen Untersuchungen gehören die schrittweise Motivation des Argumentes durch das materiale Induktionsproblem, die Unterscheidung und Diskussion verschiedener logischer Formen des Argumentes, das Herausarbeiten der Vorteile sowie die Antizipation von möglichen Einwänden gegen das Argument.

 

Kurzbiografie

Johannes Heinle studierte Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Georg-August-Universität Göttingen und Wissenschaftstheorie an der Universität Münster. Seine Forschungsschwerpunkte liegen u.a. in der Philosophie der Physik und der Klimawissenschaften. In seiner Freizeit schreibt er für die Richard Dawkins Foundation.

 

Kontakt: johannesheinle[at]gmail.com