Dissertationsprojekt von Corinna Bittner
„Erinnerungsbeziehungen von Häftlingen und Gefangenen der Emslandlager in beiden deutschen Staaten“ (Arbeitstitel)
Im Fokus des Dissertationsvorhabens stehen soziale und kulturelle Dimension kollektiver Erinnerungen. Wie gestalteten Überlebende der Emslandlager Beziehungen, Gemeinschaften, Identitäten und Repräsentationen vor dem Hintergrund der Hafterfahrung und den jeweiligen deutsch-deutschen erinnerungspolitischen Entwicklungen? Ausgehend von der Annahme, dass die kollektiven Erinnerungen plural, multiperspektivisch und heterogen waren, zielt die Arbeit darauf ab, Figurationen der Erinnerung herauszuarbeiten. Anhand von persönlichen Zeugnissen wird sichtbar, wie die Erinnerungen in Beziehungen ausgehandelt wurden und sich über Zeit veränderten. Erstens ist nach unmittelbaren und mittelbaren Beziehungen zu Fragen. Zweitens sind erinnerungskulturelle Repräsentationen zu analysieren. Drittens ist das Verhältnis von individuellen lebensgeschichtlichen Linien, erinnerungskulturellem Handeln und übergreifenden erinnerungspolitischen Prozessen in den Blick zu nehmen.
Fluchtpunkte der Untersuchung bilden mehrere Lagergemeinschaften von Überlebenden, die weitgehend unabhängig voneinander in den 1940er, den 1950er und 1960er Jahren in der BRD gegründet wurden. Insbesondere seit den 1960er Jahren pflegten die Hauptakteure persönliche Beziehungen zu Überlebenden in der DDR. In beiden deutschen Staaten litten wichtige Akteure unter fortgesetzter Diskriminierung – konkret unter dem Antikommunismus in der Bundesrepublik und Parteistrafen in der DDR. Die in den Gemeinschaften organisierten, meist kommunistischen Überlebenden erhoben einen Vertretungsanspruch für die Gefangenen der Emslandlager und stellten Forderungen nach gesellschaftlicher Anerkennung, politischer Mitbestimmung und finanzieller Entschädigung. Eine zentrale Figur, die auch die Lagergemeinschaft zu ihrer Ikone machte, war der „Moorsoldat“. Das Moorsoldatenlied, das 1933 im Konzentrationslager Börgermoor entstand, war schon vor 1945 weltbekannt geworden. Hieran knüpften die Lagergemeinschaften teilweise an. Doch auch Überlebende jenseits der Lagergemeinschaft entwickelten Darstellungen, die den „Moorsoldaten“, das Motiv des „Moors“ und Narrative der Zwangsarbeit aufgriffen. Damit bildeten die Überlebenden ein transnationales Netzwerk, das sich teilweise mit, teilweise gegen dominante Erinnerungspolitiken in beiden Staaten entwickelte.
Im Rahmen der Förderung durch die Mercator-Stiftung und in Kooperation mit dem Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte e.V., in Köln werden auch familiäre Erinnerungspraktiken untersucht. In Interviews mit Nachkommen von Überlebenden wird sichtbar, wie die Erinnerungen an die Emslandlager in geteilte Erzählungen überführt wurden und wie sich Hafterfahrung und Erinnerungsarbeit der Überlebenden auf die Nachkommen auswirkte. Die Ergebnisse sollen in einer Wanderausstellung präsentiert werden.
Erstbetreuung: PD Dr. Nina Verheyen (Universität zu Köln); ehem. Prof. Dr. Habbo Knoch (†)
Zweitbetreuung: Prof. Dr. Jens-Christian Wagner (Universität Jena)
Kurzbiographie
Corinna Bittner hat ihren Bachelor in Englisch, Geschichte und Bildungswissenschaften und ihren Master in Public History an der Universität zu Köln absolviert. Während der Bachelorphase studierte sie neun Monate an der Durham University, UK. Für ihre Masterarbeit verbrachte sie einen dreimonatigen Forschungsaufenthalt in Kambodscha. Von 2016 bis 2021 war sie als Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Habbo Knoch, als Tutorin am Historischen Institut und freiberuflich in der Bildungsarbeit tätig. Nach ihrem Abschluss im Frühjahr 2020 arbeitete sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Projekt zur digitalen Erschließung von Selbstzeugnissen aus den Emslandlagern am Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) Emslandlager. Von Oktober 2021 bis März 2022 war sie als Elternzeitvertretung an der Universität zu Köln als Wissenschaftliche Mitarbeiterin bei Prof. Habbo Knoch tätig. Im Anschluss leitete sie das DIZ Emslandlager übergangsweise bis September 2022. Seit Oktober 2022 ist sie Stipendiatin der a.r.t.e.s. Graduate School of the Humanities Cologne und der Stiftung Mercator. Corinna Bittner engagiert sich ehrenamtlich im Trägerverein des DIZ Emslandlager und in der Interessengemeinschaft niedersächsischer Gedenkstätten.
Publikationen
Rezension von: Maximilian Becker: Antifaschismus und Kalter Krieg. Die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer in Nachkriegseuropa, Göttingen 2024, in: sehepunkte 25 (2025), Nr. 5, 15.05.2025, URL: https://www.sehepunkte.de/2025/05/39546.html [20.05.2025].
„Etwas schwierig“. Stroharbeiten von Sowjetischen Kriegsgefangenen in der Gedenkstättenpädagogik, in: Jens Hecker und Oliver Nickel (Hrsg.): Verflochtene Geschichten. Kunsthandwerkliche Arbeiten sowjetischer Kriegsgefangener in Sammlungen, Ausstellungen und Vermittlung (= Schriften des Fördervereins der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne e.V. Bd. 5), Schloß Holte-Stukenbrock 2025.
„Antifaschistische Traditionsbildung“ als demokratische Praxis. Kommunistische Überlebende und die Gedenkstättenbewegung im Emsland, in: Claudia C. Gatzka und Dominik Rigoll (Hrsg): Der Ort des Kommunismus in den westdeutschen Demokratien seit 1945 (= Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, hrsg. v. Ulrich Mählert im Auftrag der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur), Berlin 2025.
Für eine neue Geschichte von unten, in: Utopia. Die Zukünfte der Geschichtswissenschaft, L.I.S.A. Wissenschaftsportal Gerda Henkel Stiftung, 24.08.2023, online: https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/visiongeschichte_bittner_doil [24.08.2023]. (Zusammen mit Lukas Doil)
Tagungsbericht: Der Ort des Kommunismus in den Westeuropäischen Demokratien seit 1945, In: H-Soz-Kult, 19.06.2023, online: <www.hsozkult.de/conferencereport/id/fdkn-136930> (19.06.2023). (Zusammen mit Rhena Stürmer)
The (In-)Visibilty of Violence. An Analysis of the Khmer Rouge Discourse 1975-1979, Zeitschrift für Genozidforschung 19/1, 2021, S. 37-52.
The (Im-)Possibility of putting yourself in someone else’s shoes, Moral Iconographies, 28.06.2017, online: https://moralicons.hypotheses.org/157 [09.09.2021].
Vorträge
„Die Überlebenden wollen leben!“ Häftlinge und Gefangene der Emslandlager nach 1945, Vortrag und Podiumsdiskussion, „80 Jahre ‚Stunde Null‘ in Deutschland. Historie, Kontinuität und Aktualität“, Gesamtschule Berger Feld, Gelsenkirchen, 9. Mai 2025.
„… einmal werden froh wir sagen, Heimat, du bist wieder mein!“ – Erinnerungsbeziehungen zwischen Überlebenden der Emslandlager 1945-1955, Workshop „NS-Verfolgte zwischen Befreiung und Verdrängung. Die Holocaust-Überlebenden und politisch Verfolgten in West- und Ostdeutschland 1945 bis 1953, Fritz-Bauer-Institut Frankfurt am Main, 21. November 2024.
Wer macht und wem gehört digitale Erinnerungskultur? (Impulsvortrag), Abschlussveranstaltung „WikiRemembrance – Erinnerungskultur digital und partizipativ“, Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften Universitätsbibliothek Hannover, 09. Oktober 2024, online:https://av.tib.eu/media/69352 [04.01.2025].
Erinnerungsbeziehungen von Häftlingen und Gefangenen der Emslandlager in beiden deutschen Staaten (Vorstellung des Promotionsvorhabens), Forschungskolloquium „Nationalsozialismus und Rassismus, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin, 30. Mai. 2024.
Erinnerungsbeziehungen von Häftlingen und Gefangenen der Emslandlager in beiden deutschen Staaten (Vorstellung des Promotionsvorhabens), Oberseminar „Forschungen zur Geschichte in Öffentlichkeit und Medien“, Friedrich-Schiller-Universität Jena, 02. Februar 2024.
The “Peat Bog Soldiers” across borders. The inmates’ bodies in representations of the Emsland Camps, 26th Workshop on the History and Memory of National Socialist Camps and Killing Sites: “Bodies and Borders”, Łódź, 05. September 2023.
Sammlung als Begegnung. Kommunistische Überlebende und die Gedenkstättenbewegung im Emsland, 5. Hermann-Weber-Konferenz zur Historischen Kommunismusforschung: „Der Ort des Kommunismus in Westeuropäischen Demokratien seit 1945“, Berlin, 17. März 2023.
“Never again…” – Interpretations of violence by survivors of the Emsland camps between 1945 and 1960, Workshop: “Utopias of Nonviolence. Ideas, Regulations, and Blindspots in Europe since 1945”, Zürich, 01. Dezember 2022.
Lehrveranstaltungen
WiSe 2021/22 – Universität zu Köln
Antikommunismus in der BRD (Einführungsseminar)
Stipendien und Preise
ERASMUS-Stipendium für einen Aufenthalt an der Durham University
PROMOS-Stipendium für einen Forschungsaufenthalt in Kambodscha
Fakultätspreis der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln für die Bachelorarbeit