Dissertationsprojekt von Johanna Johnen
Strafe, Macht und Weiblichkeit: Die Ikonographie der Krankheit (Arbeitstitel)
Jedes Zeitalter hat seine eigene Krankheit. Der österreichische Schriftsteller Karl Kraus bemerkte 1920, dass „jede Epoche die Epidemie hat, die sie verdient. […]“[1] Das Krank-sein gehört zu den menschlichen Grunderfahrungen und ist zugleich ein Ausnahmezustand, welchen jeder Mensch in unterschiedlicher Ausprägung in seinem Leben erfährt. So ist es nur folgerichtig, dass Kunstwerke verschiedener Epochen und Zeitalter sich mit eben diesem Thema beschäftigen und Krankheiten abbilden. Die Kategorie ‚krank‘ ist nicht neutral, moralisch wie ästhetisch erfolgen Beurteilungen, was dazu führt, dass Krankheiten gesellschaftlich mit den verschiedensten, inhaltlich sehr unterschiedlichen Assoziationen belegt sind und waren. So standen Krankheiten in engem Verhältnis zu Moral und Sünde, sie wurden als Strafe Gottes für Fehlverhalten gedeutet oder gaben vermeintlich Auskunft über Herkunft und Stand der Erkrankten. Die visuellen Metaphern, mit welchen Krankheiten in den verschiedenen Epochen befrachtet wurden, werde ich in meinem Promotionsprojekt „Strafe, Macht und Weiblichkeit: Die Ikonographie der Krankheit“ untersuchen.
Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit sind künstlerische Darstellungen der Krankheiten Gicht, Syphilis und Tuberkulose zwischen 1745 und 1920, deren ikonographische Einordnung und Analyse Auskunft über Kulturgeschichte und Deutung eben dieser Krankheiten in verschiedenen Epochen und Gesellschaften geben wird. Die zentrale Fragestellung meines Dissertationsvorhabens lautet: Wie wird Krankheit als Bedeutungsträger in Kunstwerken repräsentiert? Dazu werden einzelne, als besonders signifikant markierte Krankheiten in den Blick genommen und ihre Funktionalisierung in der Kunst als Aussage zu Geschlecht, gesellschaftlichem Stand und Moral der Dargestellten untersucht. Besonderer Fokus liegt dabei auf den genderstereotypen Zuschreibungen der jeweiligen Krankheiten. Hier bietet sich zudem Erkenntnispotenzial auch im Hinblick auf das Idealbild einer jeden Gesellschaft und die Feststellung, was jeweils als Norm und Abnorm gilt. Durch die Thematisierung kulturhistorischer Diskurse über ‚normale‘ und ‚pathologische‘ Geschlechts- und Körperkonzepte, knüpft diese Arbeit an Positionen der Gender- und Disability-Studies an. Aufgrund der angestrebten intersektionalen Betrachtung der Kunstwerke werden in Teilen auch rassifizierte Zuschreibungen der Dargestellten kritisch in den Blick genommen.
Durch die Betrachtung der Krankheiten in der Kunst wird sich aufzeigen lassen, dass die Krankheit innerhalb der Kunstgeschichte als wichtiger und vielfältiger Bedeutungsträger fungiert. Diese Instrumentalisierung der Krankheitsmetapher zu verschiedenen Zwecken eröffnet eine neue Sicht auf Kulturgeschichte und Denkmuster der jeweiligen Epochen, bringt neue Lesarten für die Werke, die sie hervorbrachten und erweitert das Verständnis für visuelle Semantisierung kultureller Phänomene.
[1] Kraus, Karl: Die letzten Tage der Menschheit: Tragödie in fünf Akten mit Vorspiel und Epilog. Wien, Leipzig 1920, S. 132.
Kurzbiographie
Johanna Johnen, geboren 1993, studierte Kunstgeschichte und Romanistik im Zwei‑Fach‑Bachelor an der Universität zu Köln mit einem Erasmus-Studienjahr an der Universidad de Sevilla. Im Anschluss daran absolvierte sie das Masterstudium der Kunstgeschichte mit der Abschlussarbeit Die Enthüllung des Bösen: Ivan Albrights Gemälde in Albert Lewins Film ‚The Picture of Dorian Gray‘ (1945). Während des Studiums arbeitete sie zunächst als studentische, später als wissenschaftliche Hilfskraft für die Professur der allgemeinen Kunstgeschichte (Prof. Dr. Ekaterini Kepetzis) sowie in der Bibliothek am Kunsthistorischen Institut Köln.
Seit März 2019 ist sie im Kölner Käthe Kollwitz Museum in der Kunstvermittlung tätig und promoviert seit April 2021 als Kollegiatin der a.r.t.e.s. Graduate School im Fach Kunstgeschichte.
Kontakt
Publikationen
Othering Disease: Representations of Deviance in two early modern Depictions of Illnesses. In: Katritzky, M.A.; Münch, Birgit; Ziegler, Molly (Hg.): Tagungsband, 3rd GOTH Symposium (geplant 2024).
A Woman Consumed by Emotion: Gabriel von Max's Traviata and Tuberculosis as a Disease of Sensibility. In: Barutcieff, Silvia Marin (Hg.): Depicting Emotions in East and Central Europe (1400-1900). Pisa 2024, S.131-147.
Krankheit als Distinktionsmerkmal? Porzellanplastik eines Gichtkranken von Johann Joachim Kaendler. In: KERAMOS 249/250 (2020), S. 63-70.
Bernhard Valentinis Museum Museorum, Onlinepublikation im Rahmen des Seminars: Frontispiz und Titelbild – Bedeutungsträger und Gestaltungsaufgabe frühneuzeitlicher Kunst, 2019 http://ukoeln.de/TZ4DC
Das vermenschlichte Interieur. Formensprache und Rezeption von Felix Vallottons Intimités, Onlinepublikation des Masterworkshops: Gegenstand: Kontext. Schlaglichter auf einen Klassiker der Kunstgeschichte, 2018 https://ukoeln.de/A2VRC
Vorträge
"Achtung Watzlawik" Eröffnungsvortrag. Verkaufsausstellung zugunsten von LebensWert e.V., Oktober 2023 - Januar 2024, UniKlinik Köln.
Female ‘otherness’ in depictions of Illness in the 17th and 18th century, 3rd Annual GOTH Symposium 2023, Open University, Milton Keynes.
Between Sickness and Health – Gendered depictions of Sexual Diseases in Art. AHRC Conference 'Hybridity' 2022, University of Cambridge.
Dorian Gray and the 'Leprosies of sin' – Immorality as a Disease. Graduate Workshop, Illnesses: the Antitypes of Health 2019, Universität zu Köln.