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Dissertationsprojekt von Jonas Wernz

Titelblatt der Denkschrift von Michael Alexander Lips: „Der Wiener Congreß oder was muß geschehen um Deutschland von seinem Untergang zu retten und das Interesse aller Fürsten und Nationen daselbst zu vereinen im Geiste der Schrift: der allgemeine Friede usw.“. Erlangen 1814, Bayerische Staatsbibliothek München, J.publ.g. 430 h.

Offene Zukünfte. Konzepte politischer (Neu-)Ordnung zwischen napoleonischem Imperium und europäischem Mächtekonzert 1813-1822

„Jetzt ist alles möglich – es läßt sich gut und schlecht machen – am leichtesten, aber am schlimmsten ists, das Alte nur wieder zu bringen oder dem Zufall seine Geburten zu überlassen.“ (Michael Alexander Lips, Denkschrift von 1814)

In seiner hier zitierten Denkschrift zum Wiener Kongress konstruierte Michael Alexander Lips einen für die unmittelbare Zukunft konstitutiven Entscheidungsraum, in dem mehrere Gestaltungsmöglichkeiten denkbar waren. Wie viele andere seiner Zeitgenossen rekurrierte er dabei auf die jüngsten Erfahrungen der napoleonischen Kriege, die mit ihren tiefgreifenden Umbruchsprozessen für die deutsche Staatenwelt im Besonderen und den europäischen Kontinent im Allgemeinen eine Situation historischer Kontingenz und Offenheit hinterließen. Auch unterhalb der Ebene der staatlichen Entscheidungsträger, die zwischen 1814 und 1815 auf dem Wiener Kongress über die Neuordnung Europas verhandelten, wirkte diese Konstellation impulsgebend für einen in der deutschsprachigen Öffentlichkeit des frühen 19. Jahrhunderts geführten Nachkriegsdiskurs. Lips‘ Denkschrift war dabei ein publizistischer Neuordnungsentwurf von vielen.

In meiner Dissertation untersuche ich diesen zeitgenössischen Nachkriegsdiskurs zur politischen Neuordnung der deutschen Staatenwelt und Europas. Für den Untersuchungszeitraum von 1813 bis 1822, der das Zäsurereignis des Wiener Kongresses in einer längerfristigen Aushandlungsphase von Krieg und Frieden verortet, werden dessen konkurrierenden Ordnungsvorschläge in den Blick genommen. Neben der Frage nach den Akteuren, Ausdrucksformen und Netzwerken des öffentlichen Diskurses geht es mir vor allem um die qualitative Analyse der Themenfelder, Ordnungskonzepte und multiplen Denk- und Handlungshorizonte, in deren Spannungsfeld die Neuordnung generiert und ausformuliert wurde. Einen Schwerpunkt der Arbeit bildet das in den publizistischen Entwürfen auf vielfältige Weise strukturierte Verhältnis der Ordnungskonzepte „Nation“, „Reich“ und „Europa“ zueinander, die durch die napoleonische Zeit ganz neue ideologische Bedeutungszuschreibungen und Positionsbestimmungen erfuhren. Auf einer weiteren Ebene sollen zugleich die subtilen Wechselwirkungen zwischen dem publizistischen Nachkriegsdiskurs einerseits und der Ordnungspolitik der staatlichen Entscheidungsträger andererseits analysiert werden. Damit möchte ich mögliche Beziehungsgeflechte sichtbar machen, die die Übernahme und Integration von Inhalten, Konzepten und diskursiven Unterbauten in die jeweils eigenen Deutungsangebote ermöglichten und vorhandene Schnittstellen von Politik und Öffentlichkeit markieren.

Das Projekt schließt sowohl an jüngere kulturgeschichtliche Studien zum Wiener Kongress als auch an neue Ansätze der Nationalismusforschung an. In theoretischer Hinsicht gibt es zudem weitere Verbindungslinien zur unlängst an Bedeutung gewinnenden Historischen Nachkriegsforschung, zur Historischen Semantik und Begriffsgeschichte sowie zur Öffentlichkeits- und Diskurstheorie.

 

Kurzbiografie

Jonas Wernz hat an der Universität zu Köln und an der School of History des University College Cork, Irland, Geschichte, Englisch und Bildungswissenschaften studiert. Ab 2018 arbeitete er während des Studiums als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität zu Köln und war dort zudem als Tutor für die Einführungsvorlesung Neuere und Neueste Geschichte tätig. Nach seiner Abschlussarbeit, die sinnbildende Epochennarrative und Zukunftsentwürfe in der Übergangsphase des Wiener Kongresses 1814-1815 zwischen Krieg und Frieden behandelt, war er zunächst als Lehrbeauftragter beschäftigt. Seit September 2020 forscht und lehrt er zum „langen“ 19. Jahrhundert als Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Dr. Ute Planert im Fachbereich der Neueren Geschichte am Historischen Institut der Universität zu Köln. Betreut wird seine Promotion von Prof. Dr. Ute Planert und Prof. Dr. Fabian Klose (Lehrstuhl für Internationale Geschichte und historische Friedens- und Konfliktforschung, Universität zu Köln). Seit April 2021 ist er Kollegiat im a.r.t.e.s. Integrated Track.

 

Kontakt

jonas.wernz(at)uni-koeln.de

 

Auszeichnungen

2020: Fakultätspreis der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln für seine Masterarbeit zu Temporalitäts- und Zukunftskonstruktionen während des Wiener Kongresses 1814/15.

 

Vorträge

Preventing Defeat after Victory: European Peace due to Federal Nationalism in Germany, 1814-1815, Nationalism, War and Defeat. Interdisciplinary Conference on Nationalism (25.-26. Mai 2023): University of Copenhagen.

„Eine lebendige Anschauung der Zeiten": Offene Zukünfte, Politik und Neuordnung 1814-15, Kolloquium für Neuere und Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Prof. Dr. Patrick Wagner/Prof. Dr. Theo Jung (13. April 2023): Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.

'Periodization in the Making': Time and the Figure of "Turning Point" in German Print Media 1814/1815, Conference Periodization and Time in History: Perspectives from Germany, Europe and the Middle East (29.-30. März 2023): University of Cambridge.

Archetype of "Europe"? German Nationalism, Print Media, and the Quest for European Postwar Order 1813-1815, Conference Changing Concepts of "Europe" since the 18th Century: Between the National, the Transnational, and the Global (2.-4. März 2023): Aarhus University.

Kairological Paradigm: Temporal Hybridity and Politics in the German Public Sphere 1814/1815, Cambridge German History Research Group, DAAD Cambridge Forschungszentrum für Deutschland-Studien (17. November 2022): University of Cambridge.

Temporal Hybridity: A Liminal Approach Towards Periods of Transition and Social Change, 2022 Cambridge AHRC International Conference, Open-Oxford-Cambridge Doctoral Training Partnership (20./21. September 2022): University of Cambridge.

Offene Zukünfte. Konzepte politischer (Neu-)Ordnung zwischen napoleonischem Imperium und europäischem Mächtekonzert 1813-1822, Kolloquium Neuere Geschichte, Historisches Institut (17. Mai 2022): Universität zu Köln.

Offene Zukünfte. Konzepte politischer (Neu-)Ordnung zwischen napoleonischem Imperium und europäischem Mächtekonzert 1813-1822, Doktorandenkolloquium Neuere Forschungen zur Geschichte des 19. Jahrhunderts (12./13. Mai 2022): Köln.

 

Lehrveranstaltungen

Wintersemester 2022/23                                                                                                  Einführungsseminar, „Revolutionäre Ordnungen? Nationalismus, Liberalismus und Staatenwelt 1848/49“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.

Sommersemester 2022                                                                                                    Einführungsseminar, „Ja dürfen s‘ denn des? – Die deutsche Staatenwelt im Kaleidoskop der Revolutionen 1848/49“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.

Wintersemester 2021/22
Einführungsseminar, „1871 – Europa im Zeichen der Reichsgründung“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.

Sommersemester 2021
Einführungsseminar, „Krieg und Nation: Die deutschen ‚Einigungskriege‘ 1864 bis 1871 in europäischer Perspektive“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.

Wintersemester 2020/21
Einführungsseminar, „Europa oder die Welt? Die Auseinandersetzungen europäischer Großmächte von 1740 bis 1763“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.

Sommersemester 2020
Einführungsseminar, „Der Siebenjährige Krieg (1756-1763): Globale Krisen und europäische Konflikte am Beginn der Moderne“, mit Elias Mahiout, Historisches Institut, Universität zu Köln.