Dissertationsprojekt von Burrhus Njanjo
Migration, Imagination und Film. Eine Untersuchung zu europäischen Regisseuren mit Migrationshintergrund in Deutschland, Großbritannien und Frankreich (Arbeitstitel)
In ihrem Versuch, über die beschränkten Zielsetzungen der Migrationsforschung hinauszugehen, formulieren die britischen Wissenschaftler (Paul White et al.) Fragestellungen, die in den neuen Migrationstheorien diskutiert werden und die Migrationsforschung über den Tellerrand der Push- und Pull-Faktoren hinausdenken. Unter anderen Fragen: Welche Folgen hat es, Teil oder nicht Teil einer Gemeinschaft, einer Gesellschaft oder auch einer Nation zu sein? Von dem somit signalisierten Paradigmenwechsel wurden die Hauptziele meiner Dissertation hergeleitet.
In meiner Dissertation interessiere ich mich für europäische RegisseurInnen mit Einwanderungshintergrund, und zwar Abdellatif Kechiche (Frankreich-Tunesien), Amma Asante (Großbritannien-Ghana) und Mo Asumang (Deutschland-Ghana), die alle aus dem Kreis von métissage-Kino sind und deren Filme wohl als minor cinemas in ihren jeweiligen europäischen Aufnahmefilmfeldern gekennzeichnet werden können. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Frage, wie diese FilmmacherInnen mit Migrationshintergrund ihre jeweiligen Aufnahmenationen in ihren Filmen artikulieren und wie sie sich somit zu dem „récit national“ ihrer europäischen Aufnahmeländer positionieren? Die gründliche Analyse der Filme soll dabei helfen, die klassischen Genres, mit denen Filme von FilmmacherInnen mit Einwanderungshintergrund kategorisiert werden, zu reflektieren. Die Kategorien cinéma beur, Black british cinema und Immigrantenkino stehen generell für Werke und deren RegisseurInnen, die jeweils Franzosen mit nordafrikanischer, schwarze Briten und Deutsche ausländischer Herkunft sind. Mit der Kategorie der cinéma du métissage oder métissage-Kino wird nicht unabsichtlich Abstand von klassischen Kategorien wie cinéma beur, Black british cinema und Immigrantenkino oder Kino der Fremdheit genommen, denen von vorherein jeweils die Werke Kechiche, Asante und Asumang im Rahmen ihrer europäischen Aufnahme-Filmlandschaften zugesprochen werden. In dieser Hinsicht wird der Begriff national cinema aufgrund der Grundzüge der Filme von Kechiche, Asante und Asumang, die über die klassischen Genres des cinéma beur, Black british cinema und Immigrantenkinos hinauszudenken sind, und mit Blick auf transnationale Phänomene näherer Beobachtung und einer grundlegenden Kritik ausgesetzt. Dadurch wird auch die Nicht-Neutralität von Genres bzw. von national cinemas im Umgang mit Akteuren „fremdanderer“ Herkunft ans Licht gebracht. Denn es sollte im Blick behalten werden, dass ein Genre als ideologisches Konstrukt auf die Wahrnehmung, die Rezeption und den Umgang mit RegisseurInnen (in dem Falle mit Migrationshintergrund) Einfluss haben kann und dass National cinemas in ihrer Konstellation keine unwandelbaren Systeme sind.
Wichtig bei der Analyse der Nationsartikulierung ist, einen Zusammenhang zwischen den Darstellungsstrategien von den RegisseurInnen, ihrer hybriden Poetik und ihrer kulturellen Hybridität herzustellen, die wohl hier ihrem symbolischen Kapital zugrundeliegt. Ich möchte aufzeigen, wie aus dieser multikulturellen Identität Nutzen gezogen wird, um existierende Diskurse zu Nation einer kritischen Überlegung zu unterziehen und neue, andere, alternative Diskurse zu enthüllen bzw. entstehen zu lassen. Bei Abdellatif Kechiche ist es spannend zu sehen, wie er eine neue Ästhetik des poetischen Realismus schafft, - die über die Traditionen von Renoir und Godard hinausgeht - und wie aufschlussreich diese bei der ästhetischen Artikulierung der französischen Nation sein kann. In der Arbeit soll auf den Grund gegangen werden, wie er somit das Interesse von der reinen Ästhetik zu der Politik, von der Gegenwart zu der Vergangenheit und/oder umgekehrt, von dem Zentrum zu einer Peripherie de- und reterritorialisiert. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen insgesamt zwölf Filme von Abdellatif Kechiche, Amma Asante und Mo Asumang. Die Dissertation basiert vordergründig auf den theoretischen Ansätzen von Deleuze/Guattari über Minor literatures (cinemas), von Bourdieu über das literarische (filmische) Feld und von Bhabha über die Hybridität im postkolonialen Kontext.
Kurzbiografie
Burrhus Njanjo, geb. 1992 in Nkongsamba, in Kamerun. Studium der Germanistik (mit Literatur- und Medienwissenschaft als Schwerpunkte) und der African literatures and civilisations an der Universität Jaunde I (B. A. und M.A.). Fünfjährige Ausbildung als DaF-Lehrer an der Ecole Normale Supérieure von Jaunde (DIPES I und DIPES II). Wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl von Prof. Dr. David Simo im Zentrum für Deutsch-Afrikanische Wissenschaftskooperation. Seit April 2018 Promotionsstipendiat im Integrated Track der a.r.t.e.s. Graduate School betreut von Jun.-Prof. Dr. Dennis Göttel und PD Dr. König (Universität zu Köln), und Prof. Dr. David Simo (Universität Jaunde I). Dort besucht er die Klasse 4.
Kontakt: bnjanjon(at)smail.uni-koeln.de
Publikationen
Intermedialität, Literaturverfilmung und die Frage der „Réécriture“, Untersuchung zu F. Dürrenmatts Der Besuch der Dame, L. Cremers Der Besuch der alten Dame und Diop Mambétys Hyènes, Masterarbeit, Akademiker Verlag, 2017.
Djibril Diop Mambétys Film Hyènes als Inszenierung von Friedrich Dürrenmatts Theaterstück Der Besuch der alten Dame, Überlegungen zum intermedialen Kunstwerk der Literaturverfilmung, Diplomarbeit, Leipzig, Grin Verlag, 2016.
Rezension zu: Claire Diao, Double vague. Le nouveau souffle du cinéma français, Vauvert, 2017, in: [rezens.Tfm], 15.11.2018 (https://rezenstfm.univie.ac.at/index.php/tfm/article/view/79).
Vorträge
National cinemas, Genres und transkulturelle Herausforderungen im westeuropäischen Kontext, 06.02.2019, Briefings 6.0, Forschung am Institut für Kurzpädagogik, Goethe-Universität Frankfurt.
Film und Artikulierung der Nation im Globalisierungskontext, 30.05.2018, Klassenkolloqium, a.r.t.e.s. Klasse 4, Universität zu Köln.
Europäische Moderne im Spiegel des „Primitivismus“, 30.06.2016, 7. Sommerakademie Schweizer Literatur, Avantgarde und Avantgardismen, Centre Dürrenmatt Neuchâtel/Schweizerisches Literaturarchiv.
Eine transnationale und interkulturelle Literaturgeschichtsschreibung aus postkolonialen Prismen, 16.12.2015, International Promovieren in Wuppertal-Winterschule, WORLD LITERATURE, Bergische Universität Wuppertal.
Titelbild: Word-Cloud auf der Umschlagseite der 5. Auflage des Buchs „Tausend Plateaus“ von Gilles Deleuze und Felix Guattari (Credit: Burrhus Njanjo mit Genehmigung des Merve Verlags Berlin) // Portraitfoto: Patric Fouad