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Dissertationsprojekt von Florian Schleking

Kontroversen um Gefühle und Neue Religiosität in der Bundesrepublik Deutschland (Arbeitstitel)

In meinem Promotionsprojekt untersuche ich die Konjunktur Neuer Religiosität im späteren 20. Jahrhundert. Ich konzentriere mich dabei auf die westdeutschen Auseinandersetzungen und jene Gruppen, die in der zweiten Hälfte der 70er unter den Begriffen „Jugendreligionen“ oder „Jugendsekten“, „Psychokulte“ oder „destruktive Kulte“ subsummiert wurden. Mich interessiert vor allem der Boom an Körpertechniken und Gefühlspraktiken, der sich in diesem Rahmen abspielte und die gesellschaftlichen Kontroversen, die er in den 1970er und 1980er Jahren auslöste. In der Selbstbeschreibung wie in der Fremdzuschreibung waren die „Jugendsekten“ mehr und anderes als Religionsbewegungen im engeren Sinne: Sie galten als Phänomen, Indikator und Treibriemen jugend- und gegenkultureller Entwicklungen nach der Revolte von „1968“, als Anbieter und Übungsfelder neuartiger Gesundheitspraktiken wie Meditation oder Yoga, als geschickte oder perfide ökonomische Entrepreneure oder auch als Protagonisten einer spirituellen Politik, die nach Selbstbefreiung und Unterwerfung unter Gruppe oder Anführer verlangte.

Im Zentrum des Promotionsvorhabens steht die Frage, wie neureligiöse Gruppen oder Bewegungen einerseits, ihre Gegner und Außenbeobachter andererseits Gefühle und Körper mit einer neuartigen Relevanz versahen. Die neu- und fremdartigen Heilsanbieter entwarfen, inszenierten und verbreiteten seit Ende der 1960er Jahre spezifische Einsatzweisen des Körpers und relativ distinkte Arten und Weisen, Gefühle zu verstehen, zu erfahren, zu pflegen und auszudrücken. „Jugendreligionen“ kombinierten Selbstsuche und Selbstführung ganz offen und programmatisch mit Anleitung und Autorität, Gruppenbildung und Gemeinschaftsbindung. Die paradoxe Selbstunterwerfung kann als das zentrale Problem identifiziert und analysiert werden, um das sich die „Sekten“-Kontroverse der Siebziger Jahre entspann. Auf der einen wie auf der anderen Seite, bei den Vertretern im neureligiösen Feld wie bei ihren Beobachtern und Gegnern ging es um Fragen und Verfahren der „Selbstbestimmung“ und „Selbstverwirklichung“ und um das Problem, welche sozialen Umgebungen diese begünstigten und gefährdeten. Kurz gesagt, handelte es sich um Kontroversen um das, was im Anschluss an Michel Foucault als Subjektentwürfe und Menschenführung untersucht werden kann. Ich begreife diese Konflikte um die ‚richtige‘ Form(ierung) des Subjekts als Möglichkeit, um zu erschließen, wie die Suche nach neuer Emotionalität und Körpererfahrung, nach Spiritualität und Gemeinschaft die 1960er bis 1980er Jahre prägte, gesellschaftliche Selbstverständigungsdebatten herausforderte und mitgestaltete und welche Rolle Einflüsse aus West und Ost bei alldem spielten.

 

Kurzbiographie

Florian Schleking hat Geschichte und Sozialwissenschaften an der Universität Bielefeld studiert. Als studentische und wissenschaftliche Hilfskraft arbeitete er dort im SFB „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ und am Lehrstuhl für Historische Politikforschung. Seit Oktober 2016 forscht und lehrt er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter von Prof. Ralph Jessen in der Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität zu Köln. Seit April 2017 ist er Kollegiat im a.r.t.e.s. Integrated Track.

Kontakt: f.schleking(at)uni-koeln.de

 

Publikationen

Aufsätze

Drogen, Selbst, Gefühl. Psychedelischer Drogenkonsum in der Bundesrepublik Deutschland um 1970, in: Pascal Eitler / Jens Elberfeld (Hgg.): Zeitgeschichte des Selbst. Politisierung – Therapeutisierung – Emotionalisierung, Bielefeld 2015, S. 293–326.

Psychedelic Fears. Drug use as an emotional practice in West Germany around 1970, in: Storicamente. Laboratorio di Studia 11,24: Representations of Fear in History: Empirical / Practical evidence and Methodological Issues (2015) (DOI: 10.12977/stor607).

Kleinere Beiträge

Rezension zu: Tornay, Magaly: Zugriffe auf das Ich. Psychoaktive Stoffe und Personenkonzepte in der Schweiz, 1945 bis 1980, Tübingen 2016, in: H-Soz-Kult, 18.04.2017, www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-26578.

Tagungsbericht: AIDS, Drugs, and the Histories of European Public Health Policies since the 1960s. 06.10.2016–07.10.2016, Basel, in: H-Soz-Kult 25.04.2017, http://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-7136.

Tagungsbericht: Dominanz durch Dinge? Zum Verhältnis von sozialen Asymmetrien und Materialitäten aus historischer Perspektive (XXXII. Tagung des Arbeitskreises Geschichte+Theorie). 27.02.2014–01.03.2014, Berlin, in: H-Soz-u-Kult, 15.07.2014, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=5456.

Tagungsbericht: eine ZeitGeschichte des Selbst. 04.06.2010–05.06.2010, Bielefeld, in: H-Soz-u-Kult, 02.08.2010, http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=32

 

Vorträge

Mit Kristoff Kerl: „Rausch-Körper-Geschichte“. Einführung zum Workshop „Rausch-Körper im 19. und 20. Jahrhundert“ (Universität zu Köln, 29.7.2017).

„Praxeologische Drogengeschichte? Perspektiven und Einwände“. Vortrag im Rahmen der Konferenz „Historisch, praktisch, gut? Potenziale und Grenzen praxeologischer Ansätze für die Geschichtsschreibung zum 19. und 20. Jahrhundert“ (a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne / Historisches Institut der Universität zu Köln, 22.02.2016-23.02.2016).

„Panik und Psychedelik. Drogenkonsum als Gefühlspraxis im Westdeutschland um 1970“, Vortrag im Rahmen der Summer School „Zwischen Theorie und Empirie – Erscheinungsformen von Angst in der Geschichte“ (Universität Bielefeld/Università di Bologna, 23.09.2013–26.09.2013).

 

Lehrveranstaltungen

Wintersemester 2017/18

Von der Lebensreform zum linksalternativen Milieu? Alternativbewegungen im 20. Jahrhundert (Einführungsseminar Neuere Geschichte

Wintersemester 2016/17

Religion und Gesellschaft in Westdeutschland nach 1945 (Einführungsseminar Neuere Geschichte)

 

Titelbild: Bhagwan Shree Rajneesh and disciples in darshan at Poona in 1977 (Quelle: Wikimedia Commons / CC0 1.0) // Portraitfoto: Patric Fouad

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