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Das a.r.t.e.s. Research Lab im Interview

von Silke Feuchtinger

Martin Zillinger und Thiemo Breyer (Foto: Evi Blink)

Im Wintersemester 2013/14 hat das a.r.t.e.s. Research Lab seine Arbeit aufgenommen. Mit zwei Post-DoktorandInnengruppen zu den Themen "Transformations of Knowledge und "Transformations of Life" bereichert es die Forschungsarbeit bei a.r.t.e.s. und trägt auch innerhalb der Philosophischen Fakultät zu einer Erweiterung interdisziplinärer Fragestellungen bei. Ein Gespräch über Ideen, Ziele und Kontroversen.

Martin und Thiemo, als a.r.t.e.s.-Juniorprofessuren leitet und beratet Ihr gemeinsam das Lab. Könnt Ihr bereits von gemeinsamen Arbeitsformen sprechen?

Thiemo Breyer: Mit insgesamt sieben Personen sind wir bereits jetzt eine recht große Gruppe. Unsere Arbeit ist dadurch gekennzeichnet, dass zwar jeder sein eigenes, disziplinär spezialisiertes Projekt vorantreibt, wir aber mittels gemeinsamer Veranstaltungsformate gleichzeitig eine interdisziplinäre Öffnung anstreben. Das betrifft nicht nur das Lab selbst. Unsere Themen und Diskussionen sollen auch in die a.r.t.e.s. Graduateschool und darüber hinaus in die Fakultät ausstrahlen.

Wie sieht das konkret aus?

Thiemo Breyer: Für unsere interne Vernetzung haben wir bereits im Wintersemester 2013/2014 unterschiedliche Instrumente etabliert. Wir treffen uns zum Beispiel regelmäßig in einem Lesekreis, wo wir uns mit methodologischen Texten auseinandersetzen, die in Bezug auf unsere unterschiedlichen Ansätze einen gemeinsamen Boden bieten können. Wir organisieren außerdem gemeinsam mit den Studierenden aus dem Research-Master-Programm Werkstattkolloquien, in denen eigene Texte miteinander besprochen werden. 

Das Lab steht momentan noch ganz am Anfang, Ihr könnt es gemeinsam gestalten. Wie formuliert Ihr Eure Zielsetzung?

Martin Zillinger: Ich entdecke in a.r.t.e.s. und speziell im Research Lab das Humboldtsche Ideal, in den „wissenschaftlichen Anstalten“ Forschung und Lehre zu verzahnen. Das bedeutet nicht nur, dass wir Seminare für Studierende anbieten, sondern auch, dass wir in der direkten Zusammenarbeit miteinander forschen und voneinander lernen wollen. Denken entlang von Transformationen im interdisziplinären Kontext kann gerade nicht von gesicherten Kategorien ausgehen. Insofern bietet das Lab erst einmal einen wunderbaren Freiraum für das Abenteuer Forschung.

Der Begriff „Transformation“ bildet für beide Gruppen des Research Lab die große thematische Überschrift. Wie nähert Ihr Euch diesem Begriff in Euren jeweiligen Projekten?

Stefan Niklas: Ich sehe den Begriff der Transformation zunächst einmal als eine Aufgabe. Dieser Aufgabe versuche ich weniger mit einer Begriffsdefinition, sondern eher methodisch zu begegnen. In meinem Forschungsvorhaben beschäftige ich mich mit dem kulturellen Umgang mit Ungewissheit. Dabei beobachte ich, in welchen verschiedenen Medien oder ästhetischen Formen Ungewissheit verhandelt wird. Von Medium zu Medium gibt es sowohl Gemeinsamkeiten als auch Unterschiede. Diese medialen Übergänge will ich als Transformation verstehen. Doch auch in historischer Hinsicht stellt sich die Frage: Wie transformiert sich die Suche nach Gewissheit in einer ganz und gar unsicheren Welt? Worin bestehen die Unterschiede im Umgang mit Unsicherheit, zum Beispiel in Romanen, in Filmen oder auch in anderen Bereichen wie dem wissenschaftlichen Experimentieren? Das sind Fragestellungen, die mich interessieren.

Johannes Schick: Mir geht es beim Transformationsbegriff vor allem darum zu erkunden, was das überhaupt für ein Phänomen ist. Lässt sich dieses nur biologisch oder physikalisch beschreiben oder kann man Transformation auch erkenntnistheoretisch erfassen? Gibt es so etwas wie eine Erfahrung der Transformation oder ist Erfahrung möglicherweise selbst transformativ? Inwiefern führen die verschiedenen technologischen und medialen wissenschaftlichen Praktiken dazu, dass auch philosophische Begriffe Transformationen unterliegen? Was Henri Bergson 1907 in seinem Werk „L’Évolution créatrice“ als Homo Faber bezeichnet hat, hat sich durch die technischen und medialen  Entwicklungen inzwischen verändert. Heute kann man, mit Gilbert Simondon, wohl eher vom Homo Coordinans sprechen, der inmitten der technischen Objekte nicht mehr unilateral auf sie wirkt, sondern sie ständig neu erfinden und koordinieren muss.

Susanne Schregel: Vielleicht kann ich hier noch eine weitere Facette ergänzen, die mich als Historikerin an dem Konzept der Transformation besonders interessiert. Transformation ist natürlich auch etwas, was sich als Prozessualität besonders im Hinblick auf Zeitlichkeit und Veränderungsprozesse denken lässt. Mein Projekt hat zum Ziel, eine Geschichte der Intelligenz im deutsch-britischen Vergleich zu schreiben. Der Begriff der Intelligenz, den ich mir dabei anschaue, bildet dabei eine begriffliche Klammer, die sich erstmal nicht verändert. Transformation findet hier also unter einer gleichbleibenden Größe statt.

Ist „Transformation“ für Euch ein gänzlich neuer Forschungsgegenstand oder habt Ihr Euch bereits in früheren Projekten mit dem Begriff beschäftigt?

Bernhard Hollick: Als Mediävist wurde und werde ich in meiner Beschäftigung mit mittelalterlicher Literatur permanent mit unterschiedlichsten Transformationsprozessen konfrontiert: Historische Transformationen bei der Beschäftigung mit Fragen der Rezeptionsgeschichte, literarisch-mediale bei der Analyse des Wechsel zwischen Prosa, Dichtung und spielerischen Formen wie dem Zahlenkampfspiel – oder auch ganz einfach sprachliche Transformationen durch die Parallelität von Lateinisch, Mittelenglisch und Anglonormannisch im spätmittelalterlichen England. Das alles ist ja bereits eine ständige Bewegung. Für mich besteht das Problem vor allem darin, innerhalb dieses Wirrwarrs verschiedener Transformationsprozesse vergleichbare Strukturen zu finden – oder zumindest ein Modell von Transformation, unter das ich diese subsumieren kann.

Thiemo Breyer: Noch radikaler gesagt: Es gibt eigentlich keinen einzigen Gegenstand geisteswissenschaftlicher Forschung, der völlig statisch wäre. Wir haben es immer schon mit Transformationen unterschiedlichster Art zu tun. Die Frage ist vielmehr, was der Begriff der Transformation in methodologischer Sicht zum Fundus der operativen Verfahren in den Geisteswissenschaften aktuell beitragen kann.

Martin Zillinger: Wenn wir Transformationen in den Blick nehmen, dann haben wir es häufig mit retrospektiven Kategorisierungen zu tun. Eine Herausforderung wäre es daher, den transformierenden Aspekt selbst zu betrachten und zu überlegen, wo Ordnungen und Strukturierungen emergieren. Transformationen werden immer von Kontroversen begleitet: Institutionen werden auf den Prüfstand gestellt, konkurrierende Ansprüche müssen legitimiert, Ordnungen verhandelt werden. Diese Kontroversen kann man sich anschauen und so überlegen, wie Transformation selbst in den Blick zu bekommen ist.

Nina Engelhardt: Was gerade das Knowledge Lab und damit auch mein Projekt zur literarischen Rezeption von Mathematik kennzeichnet, ist der Fokus auf die Popularisierung von Wissen. Dabei betrachten wir automatisch auch die Transformationsbewegungen, die dabei stattfinden. Indem wir aus unseren unterschiedlichen Perspektiven diskutieren, erleben wir diesen Prozess permanent selbst. Unser disziplinäres Wissen wird in der Kontroverse aus den Kontexten genommen und aus nichtfachspezifischen Perspektiven neu betrachtet. Wir erfahren so unsere Forschung – im wahrsten Sinne. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch unsere Arbeit mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des a.r.t.e.s. Research Master-Programms, weil wir hier unsere eigenen Texte vorstellen und mit den Studierenden diskutieren können.

Das Research Lab hat sich gerade erst formiert, dennoch habt Ihr Eure Forschung schon intensiv in den Blick genommen. Wie geht es in Zukunft weiter?

Martin Zillinger: Auch als Gruppe unterliegen wir ja einer fortwährenden Transformation. Im Laufe des Jahres 2014 werden noch weitere Post-Doktorandinnen und Doktoranden sowie ein Humboldt-Stipendiat zu uns stoßen. Es kommen also immer wieder neue Perspektiven aus unterschiedlichen Disziplinen zusammen. Genau das brauchen wir auch, wenn wir uns mit einem Phänomen wie der Transformation beschäftigen. Keine Disziplin kann für sich beanspruchen, dass sie die Fragestellungen, die sich hier ergeben, alleine bewältigen kann. Glücklicherweise sind wir an einer sehr vielseitig aufgestellten Fakultät situiert. Auch die Studierenden bringen hier einen breiten fachlichen Hintergrund mit.

Als Research Lab wollt Ihr nicht nur innerhalb der Universität zu Köln mit Studierenden, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern diskutieren, sondern Euch auch nach außen öffnen. Welche Veranstaltungen sind denn für die nächsten Monate konkret geplant?

Martin Zillinger: Wir werden in Zukunft zahlreiche Veranstaltungsformate organisieren, von denen wir uns einen intensiven wissenschaftlichen Austausch erhoffen. Bereits im Mai wird ein Workshop zur Frage „Was leistet die Praxistheorie?“ stattfinden, auf dem wir uns anschauen, wie Transformation angemessen theoretisiert werden kann. Hierzu werden wir Fachleute einladen und gemeinsam mit interessierten Teilnehmerinnen und Teilnehmern diskutieren. Im Sommersemester 2014 startet außerdem eine interdisziplinäre  Vorlesungsreihe mit dem Titel „Was ist Anthropologie?“ Die Frage nach dem Menschen und seiner Praxis in den Wissenschaften.“ Wir konnten zahlreiche an der philosophischen Fakultät beheimatete Fächer dafür gewinnen, an der Vorlesungsreihe teilzunehmen. Mit einem auswärtigen Referenten, David Wengrow vom University College London, wollen wir auf einem Arbeitstreffen eine der großen Transformationen der Menschheit diskutieren – die Schwelle zur Domestizierung und Sesshaftigkeit bei Jäger-und-Sammler-Gesellschaften. Und besonders wichtig ist uns natürlich unsere Jahrestagung im November. Deren Format ist ganz auf die verschiedenen PostDoc-Projekte zugeschnitten, die wir dann mit externen Gästen diskutieren wollen.

Nina Engelhardt: Die Planungsphase dieser Jahrestagung ist für uns besonders produktiv. Wir müssen uns vorab intensiv mit den Projekten der anderen Mitglieder des Labs auseinandersetzen. Da ergeben sich plötzlich sehr spannenden Schnittmengen.

Bernhard Hollick: Es ist für uns alle ja zunächst nicht ganz leicht gewesen zu verstehen, was die anderen machen. Aber wenn man die Problemstellungen erstmal ein bisschen kennengelernt hat, sind die Verbindungen viel stärker als gedacht. Das Besondere am a.r.t.e.s. Research Lab ist ja, dass gerade die Zusammenarbeit untereinander sehr stark fokussiert wird. Das habe ich in dieser Form zuvor nicht kennengelernt. Der Austausch steht hier wirklich ganz besonders stark im Vordergrund. Nur ganz selten ziehen wir uns in unsere fachlichen Nischen zurück.

Johannes Schick: Das Interessante dabei sind die Kontroversen, die wir in der Arbeit miteinander permanent erzeugen. Gerade diese Reibungsflächen bieten dann das Potential, dass etwas Neues entsteht. In unserer Lektüregruppe tauchen immer wieder ganz unterschiedliche methodische Zugänge auf, in die man sich manchmal erst intensiv hineinversetzen muss, um zu verstehen, wie der andere denkt. Auf ganz produktive Weise entstehen dann Kontroversen, die auch auf das eigene Denken und die eigene Arbeitsweise transformierend wirken.