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Als Humboldt-Stipendiat im a.r.t.e.s Research Lab

Dr. Christian Ferencz-Flatz forscht im Grenzbereich zwischen Philosophie und Filmwissenschaft

von Lars Juschka

Foto: Paul Balogh

Seit Anfang Februar ist Dr. Christian Ferencz-Flatz von der Universität Bukarest als Humboldt-Stipendiat am Husserl-Archiv der Universität zu Köln zu Gast. In dieser Funktion ist er zudem Research Fellow im a.r.t.e.s. Research Lab. Seine Forschung steht in den Traditionslinien der Phänomenologie und kritischen Theorie und betrifft Themen aus den Bereichen der Bild- und Filmtheorie und der philosophischen Anthropologie. Nebenbei hat er auch viele bedeutende Autoren dieser Bereiche, etwa Husserl, Benjamin, Adorno und Heidegger, ins Rumänische übersetzt und arbeitet derzeit an einer Übersetzung von Benjamins Passagen-Werk. Der Titel seines aktuellen Projekts lautet „Film als soziale Erfahrung. Ein phänomenologischer Ansatz“. Wir haben Dr. Ferencz-Flatz zum Interview getroffen:

 

a.r.t.e.s. Graduate School: Das Humboldt-Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung betont die Bedeutung freier Projekt- und Standortwahl. Aus welchen Gründen haben Sie sich für die Universität zu Köln entschieden?

Dr. Christian Ferencz-Flatz: Wenn man sich für Phänomenologie und vornehmlich für die Husserl‘sche Phänomenologie interessiert, hat man mitunter an deutsche Universitäten keine allzu große Auswahl mehr. Das Husserl Archiv in Köln hat in dieser Hinsicht gewiss eine Vorzugsstellung. Ich kenne das Husserl Archiv schon seit 2010, als ich mit einem kürzeren Forschungsstipendium hier war und habe schon damals nicht nur den Zugang zu mir sehr hilfreichen unveröffentlichten Materialien, sondern vornehmlich den sehr anregenden Austausch mit einigen der hiesigen Forscherinnen und Forscher geschätzt. Entscheidend für mein gegenwärtiges Projekt war auch, dass zur Zeit einer der Forschungsschwerpunkte der Arbeitsgruppe „Phänomenologie und Wissenschaft“ am Husserl-Archiv der „Phänomenologie des Sozialen” gilt.

 

Könnten Sie uns Ihr aktuelles Projekt kurz erläutern?

Das Projekt ist in einem Grenzbereich zwischen Philosophie und Filmwissenschaft verortet. Mein Ziel ist es, mittels einer phänomenologisch inspirierten Analyse die eigenartigen Interferenzen zwischen drei Modi der Intersubjektivität zu ergründen, die in der Film-Erfahrung zusammenspielen: das Verhältnis des Zuschauers zu den Mitzuschauern im Kino, sein Bezug zu den Figuren im Film und seine Bezugnahme auf die subjektiven Intentionen der Filmautoren. Dabei möchte ich versuchen, die Filmerfahrung als Schnittstelle sämtlicher Formen sozialer Beziehung, d.h. als beispielhafter Ausdruck einer Vielfalt intersubjektiver Verhältnisse, darzustellen.

 

Wie kam der Kontakt zur a.r.t.e.s. Graduate School zustande?

Das geschah auf Anregung einiger Kollegen im a.r.t.e.s. Research Lab, die auch ein starkes Interesse an Phänomenologie haben und ebenfalls an einigen der Projekte des Husserl Archivs mitarbeiten. Ich wurde zunächst einfach eingeladen, mich an einigen der Veranstaltungen hier zu beteiligen und habe gerne zugesagt.

 

Wie ist Ihr Eindruck von der Universität als Forschungsstandort? Haben sich Ihre Erwartungen erfüllt?

Ich kenne die Universität schon seit mehreren Jahren und habe mich hier auch öfters bei Tagungen beteiligt. Bis jetzt läuft alles ausgezeichnet.

 

Konnten Sie in der kurzen Zeit bereits einen Eindruck von der Arbeitsatmosphäre im Research Lab gewinnen?

Leider nicht. Mein Aufenthalt hat gerade zu Semesterabschluss begonnen und dann kam die vorlesungsfreie Zeit. Für April sind aber schon etliche Veranstaltungen vorgesehen, für die ich mich sehr interessiere.

 

Die Universität zu Köln legt großen Wert auf die Internationalisierung von Forschung und Lehre. Inwiefern unterscheiden sich die Bildungssysteme in Rumänien und Deutschland?

Internationalisierung ist leider ein Punkt, der im rumänischen Universitätssystem noch sehr wenig berücksichtigt ist. Das Institut an dem ich an der Universität Bukarest arbeite – es ist das neu errichtete Forschungsinstitut Institute for Research in the Humanities – macht aber erste entscheidende Schritte in dieser Richtung, etwa mit der Umschaltung der meisten Veranstaltungen auf Englisch und Stipendienprogrammen für ausländische Forscherinnen und Forscher. Nur stößt dies noch immer auf heftige Widerstände. Das Problem liegt nicht bloß darin, dass das rumänische Bildungssystem an sich für nicht-rumänische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wenig anziehend ist. Leider sind internationale Ausschreibungen von Stipendien, Forschungsstellen und ähnliches auch intern weitgehend unerwünscht.

 

Sie sprechen sehr gut Deutsch und haben eine Reihe von philosophischen Texten ins Rumänische übersetzt. Für wie wichtig halten Sie Mehrsprachigkeit im Kontext der modernen europäischen Forschungslandschaft?

Zur Zeit ist es so, dass Mehrsprachigkeit zumindest im Bereich der philosophischen Forschung weniger bedeutend ist als noch vor zehn Jahren. Man kann heute mit dem Englischen allein durchaus auskommen, obwohl das freilich auch bedeutet, dass Mehrsprachigkeit für alle, die nicht Englisch als Muttersprache sprechen, unabdingbar geworden ist. Ich selbst hänge an Mehrsprachigkeit schon aus sentimentalen Gründen: meine Mutter gehört zur deutschen Minderheit in Rumänien, mein Vater war Ungar, und ich selbst bin dem Rumänischen am nächsten, obwohl ich freilich ebenso häufig auf Deutsch oder Englisch schreibe. Aber gelegentlich hat es schon auch seine Nachteile, wenn man zugleich in so stark voneinander abgekapselten Rezeptionswelten wirken muss.

 

Haben Sie ein Lieblingswort auf Deutsch?

Ein Lieblingswort habe ich nicht, aber ich finde als Übersetzer täglich Wörter, die in mir ein Gemisch von Frustration und Bewunderung auslösen.

 

Wir danken für das Gespräch und wünschen weiterhin viel Erfolg für das Projekt!

 

Auswahl aktueller Veröffentlichungen und Übersetzungen:

  • Incursiuni fenomenologice în noul film românesc [Phänomenologische Abstecher in das Neue Rumänische Kino], Tact, Cluj-Napoca, 2015.
  • Retro. Amorse pentru o fenomenologie a trecutului [Retro. Ansätze zu einer Phänomenologie des Vergangenen], Humanitas, Bukarest, 2014.
  • Figuri ale vulnerabilităţii existenţiale. De la uitarea de sine la uitarea fiinţei [Figuren existenzialer Vulnerabilität. Zwischen Selbstvergessenheit und Seinsvergessenheit] (zusammen mit Paul Marinescu), UAIC, Iassy, 2014.
  • The Element of Intersubjectivity. Heidegger's Early Conception of Empathy, in: Continental Philosophy Review, 2015.
  • Geschichte am Scheideweg. Heidegger und der Surrealismus bei Benjamin, in Philosophisches Jahrbuch, 2015.
  • Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Kritische Gesamtausgabe Bd. 16, Übersetzung ins Rumänische: Opera de artă în epoca reproductibilității sale tehnice. Ediție Critică, Tact, Cluj-Napoca, 2015.
  • Theodor W. Adorno, Jargon der Eigentlichkeit, Übersetzung ins Rumänische: Jargonul autenticității, Tact, Cluj-Napoca, 2015.