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„Ein Freiraum für offenes Denken“

Juniorprofessor Martin Zillinger zu Bedeutung und Zukunft des a.r.t.e.s. Research Lab

von Julia Maxelon

Martin Zillinger ist seit 2013 als Juniorprofessor für Ethnologie im a.r.t.e.s. Research Lab beschäftigt. Die Schwerpunkte seiner Forschung – Religionsethnologie, Medienethnologie, Migration und Globalisierung – stellt er immer wieder in Dialog mit anderen Disziplinen der Fakultät, etwa im Rahmen von Kooperationsprojekten oder gemeinsamen Veranstaltungen. 2018 steht für Martin Zillinger im Zeichen der Vernetzung: mit Kölner Museen, im Rahmen neuer Sonderforschungsbereiche oder am Global South Studies Center Cologne, seiner zweiten interdisziplinären Heimatinstitution neben a.r.t.e.s. Wir haben mit ihm über die interdisziplinäre Vielfalt im Research Lab und nächsten Schritte seiner Forschung gesprochen.

 

Lieber Herr Professor Zillinger, Sie sind vor knapp vier Jahren zu a.r.t.e.s. gekommen und haben als Juniorprofessor die Leitung der Nachwuchsforschungsgruppe „Transformations of Life“ im a.r.t.e.s. Research Lab übernommen. Was ist seitdem alles im Research Lab passiert und zu welchen Schwerpunkten wird dort zur Zeit geforscht?

Als wir vor vier Jahren mit der Forschung im Research Lab begonnen haben, war eigentlich die große Frage und Herausforderung, wie wir den Begriff ‚Transformation' interdisziplinär in den Griff bekommen und wissenschaftlich aufarbeiten können. Wir haben dann die Blickrichtung umgekehrt: Wir sind nicht von Ordnungsvorstellungen ausgegangen, um Transformation zu erklären, sondern haben stattdessen den Gedanken als Grundlage genommen, dass sich immer alles transformiert und dadurch Ordnung als erklärungsbedürftig ausgewiesen. Dies hat sich als sehr tragfähige Idee erwiesen, nicht zuletzt, weil sich so auch alle Forschenden im Lab – also mein Kollege Thiemo Breyer und ich sowie die Postdoktorandinnen und Postdoktoranden, die sukzessive zu uns gestoßen sind – aufgefordert sahen, die Kategorien und theoretischen Ordnungen ihrer Disziplinen auf den Prüfstand zu stellen. So sind wir sehr fruchtbar miteinander ins Gespräch gekommen.

Seitdem haben die Erfolge der Postdoktorandinnen und Postdoktoranden bei der Einwerbung ihrer Nachfolgeprojekte gezeigt, dass diese Öffnung der Perspektive auch für sie gut funktioniert hat. Es hat sich gelohnt, bei a.r.t.e.s. einen kreativen Freiraum ohne klar definierten Forschungsrahmen einzurichten, in dem alle Mitglieder der Fakultät – also auch Studierende, Promovierende und andere Forscherinnen und Forscher – zusammen kommen und offen miteinander in den Dialog treten können. Solch eine Plattform sollte es an der Universität zu Köln, aber auch an anderen Universitäten, weiterhin geben, übrigens gerade für die Postdoc-Phase, in der ja am intensivsten geforscht wird. Unsere Universitäten produzieren jede Menge Doktorandinnen und Doktoranden, aber verpassen dann leider den Moment, an dem diese hervorragend ausgebildeten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gemeinsam neue Forschungsideen entwickeln – wenn sie denn dafür den Freiraum bekommen.

Als konkreter thematischer Schwerpunkt, der von uns gemeinsam in den letzten vier Jahren entwickelt wurde, ist zuallererst die ‚Praxistheorie' zu nennen. Indem wir ‚Praxis' allen anderen Elementen vorgeordnet haben, sind wir darauf aufmerksam geworden, wie Begriffe und Ordnungsvorstellungen in unterschiedlichen Bereichen zur Geltung gebracht werden – in der Wissenschaftsgeschichte, aber auch in unterschiedlichen Bereichen der religiösen, sozialen, oder kulturellen Praxis. Thiemo Breyer hat dies in seinem Forschungsfeld der ‚Phänomenologie' getan, und mich hat die Forschung zu einer ‚Anthropologie der Praxis' dazu geführt, die Ethnologie und die empirisch arbeitenden Sozial- und Kulturwissenschaften praxistheoretisch auf den Prüfstand zu stellen. In Kooperation mit dem Konstanzer Soziologen Christian Meyer arbeite ich zur Zeit an einem Sammelband zu diesem Thema, der bald im Metzler-Verlag erscheinen wird. Natürlich waren unsere Diskussionen zum Teil auch kontrovers – aber diese Kontroversen waren gleichzeitig auch der Motor, der neue Ideen und Forschungen generiert hat. Unsere ehemalige Postdoktorandin Susanne Schregel hat etwa ein vergleichendes Forschungsprojekt zur Geschichte der Intelligenz entwickelt, das sie erst nach Großbritannien und nun mit einem eigenen DFG-Projekt zurück an das Kölner Historische Institut geführt hat.

In unserem groß angelegten Forschungsprojekt zur Durkheim-Schule bearbeiten wir diese Fragen wissenschaftshistorisch. Émile Durkheim und Marcel Mauss interessierten sich zusammen mit Kollegen für eine Sozialgeschichte der philosophischen Kategorien. Unser Projekt bereitet dieses Stück Wissenschaftsgeschichte für eine Edition auf, die sukzessive im Matthes & Seitz Verlag erscheinen soll. Alle Denker der Durkheim-Schule sind für sich genommen wirkmächtig geworden, aber dass sie zusammen an der Untersuchung sozio-kultureller Klassifizierungsschemata gearbeitet haben, ist heute wenig im Bewusstsein. Die Edition soll dies über zentrale Texte und zum Teil erstmalige Übersetzungen ins Deutsche wieder sichtbar machen. Hier war es ein Glück, dass wir mit Mario Schmidt einen ausgewiesenen Mauss-Forscher ans Research Lab bekommen haben. Auf einer internationalen Konferenz, die wir mit Unterstützung der Thyssen-Stiftung im letzten Jahr ausgerichtet haben, ist dann eine Publikation entstanden, die sich zur Zeit bei Berghahn im Review-Prozess befindet. Und nachdem wir unsere Arbeit im Rahmen der Neugründung des Durkheimian Studies Centers in Oxford vorstellen konnten, richten wir im Sommer außerdem eine Nachfolgekonferenz, zu der wieder Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Großbritannien und den USA eingeladen sind.

Zwei weitere Projekte hat in den letzten Jahren unser ehemaliger Postdoktorand Johannes Schick – unter anderem zusammen mit Forscherinnen und Forschern der Kölner Ur- und Frühgeschichte – entwickeln können: eine internationale Sommerschule des DAAD zur interdisziplinären Anthropologie und ein eigenes DFG-Projekt mit einem Schwerpunkt zur Technikanthropologie. Diese Arbeiten haben am Lab wiederum interessante Diskussionen zum Verhältnis von Kultur und Natur hervorgerufen, das in der Wissenschaftsgeschichte mal sozial-rituell, mal technisch-materiell vermittelt gedacht wurde. Eine Ausgabe zur Wirkungsgeschichte dieser ‚Homo Faber-Debatte' bereiten wir zur Zeit für die Zeitschrift für Kulturwissenschaften vor. Das Research Lab ist für uns also wirklich zu einem kreativen Freiraum geworden. Ich glaube, dass dafür eine Mischung aus maximaler Freiheit und wohlwollender Unterstützung entscheidend war, die wir durch die Fakultät erfahren haben – und ich glaube auch, dass sich das durch die Dynamiken am Lab und in der Graduiertenschule insgesamt für die Fakultät ausgezahlt hat.

 

Vor a.r.t.e.s. waren Sie in verschiedenen Projekten ganz verschiedener Disziplinen beschäftigt, etwa am Graduiertenkolleg „Die Figur des Dritten“ in Konstanz und im DFG-Projekt „Trance-Medien und Neue Medien“ in Siegen. Und zur Zeit sind Sie neben Ihrer Arbeit als Juniorprofessor bei a.r.t.e.s. auch Mitglied des Global South Studies Center Cologne sowie Teilprojektleiter im SFB 1187 „Medien der Kooperation“. Interdisziplinarität scheint also schon lange im Fokus Ihrer Arbeit zu stehen. Was reizt Sie am interdisziplinären Forschen, und soll es auch weiterhin ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein?

Interdisziplinarität war immer Bestandteil meiner Ausbildung und meiner Arbeit – eigentlich seit dem Graduiertenkolleg „Die Figur des Dritten“ in Konstanz, das für mich sehr wichtig war und in dem ich vor allem mit Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftlern zusammengearbeitet habe. Der Reiz von Interdisziplinarität liegt für mich darin, sich immer wieder gegenseitig erklären zu müssen, wie man Wissenschaft betreibt, warum es sinnvoll ist, in einer bestimmten Art und Weise vorzugehen, und darüber eben auch blinde Flecken ausmachen zu können: der eigenen Disziplin, der eigenen Forschung und der eigenen Vorgehensweise. Das Feedback aus anderen Disziplinen hilft, den Blick für bestimmte Sachverhalte und Diskussionen zu schärfen und neue Fragen zu entwickeln. Gerade die Medienwissenschaft, mit der ich im Rahmen des SFB „Medien der Kooperation“ viel zu tun habe, ist ein wunderbar turbulentes Feld mit wenigen Kanonisierungen und als Fach besonders interdisziplinär angelegt: aus der Literaturwissenschaft heraus, der Volkskunde, aber auch der Philosophie oder der Geschichtswissenschaft. Das macht ihren Erfolg in der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft aus. Über eine Kooperation mit dem Kölner Zentrum für Medienwissenschaften und Moderneforschung haben wir diese Diskussionen an Research Lab angeschlossen und so beispielsweise auch den Research Master-Studierenden in verschiedenen Veranstaltungen zugänglich gemacht.

Die Erfahrungen, die wir die letzten Jahre im Lab gemacht haben, übersetzen sich auch in dem neuen Köln-Bonner Sonderforschungsbereich/Transregio 228 „Zukunft im ländlichen Afrika: Zukunft-Machen und sozial-ökologische Transformation“, an dem der ehemalige Lab-Postdoktorand Mario Schmidt und ich beteiligt sind. Der SFB schaut sich Zonen der Intensivierung und Konservierung in ländlichen Räumen in Ostafrika und dem südlichen Afrika an. Auf der einen Seite gibt es Wachstumskorridore, in denen Unternehmen angesiedelt werden und hochproduktiv Landwirtschaft betrieben wird – oder werden soll, was nicht nur die natürliche, sondern auch die soziale Landschaft planerisch verändert. Auf der anderen Seite gibt es in großen Teilen Afrikas Gebiete, die aus solchen Intensivierungsprozessen herausgenommen und konserviert werden, zum Teil werden auf Flächen von der Größe Frankreichs Naturreservate eingerichtet. Auch dafür werden Menschen umgesiedelt und Zugangsrechte re-definiert. Es wird entscheidend eingegriffen in die natürliche Umwelt und das Leben der Menschen vor Ort – um diese Dialektik des ‚Future-Making' geht es im SFB. Mario Schmidt und ich untersuchen in unserem Teilprojekt die Bevölkerungsgruppe der Luo, die sich in Kenia häufig von Modernisierungsmaßnahmen ausgeschlossen sieht. Uns interessiert, wie sich die Menschen über Arbeitsmigration mit den sehr schnell verändernden Landschaften verbinden, sich unter schwierigen und wechselnden Bedingungen Kompetenzen erarbeiten und neue Formen der Kooperation ausbilden: Neue ‚communities of practice'. Hier schlägt wieder unser praxistheoretisches Interesse durch, Grundbegriffe der Sozial- und Kulturwissenschaften zu überdenken – Identität und Ethnizität, aber auch Öffentlichkeit. Mit Thomas Widlok und Sandra Kurfürst vom Global South Studies Center Cologne arbeiten wir schon länger in einer Arbeitsgruppe zu diesem Thema zusammen.

 

Obwohl die meisten der ehemaligen Postdocs das Research Lab inzwischen wieder verlassen haben, bestehen viele Kooperationen fort und werden nun nicht mehr nur disziplinen-, sondern auch universitätsübergreifend fortgeführt. Was sind Ihre Pläne für 2018 – welche Projekte möchten Sie fortführen, abschließen oder vielleicht neu anfangen?

Für das Research Lab ist 2018 ein wichtiges Jahr, weil wir überlegen müssen, wie es weitergeht, jetzt da die Verträge der Postdocs alle ausgelaufen sind. Erst einmal bleibt das Research Lab das, was es seit Beginn immer war: nämlich eine Plattform, die davon lebt, dass Forscherinnen und Forscher an sie andocken und gemeinsam etwas entwickeln. Dafür sollte es verschiedene Formate geben, um entsprechende Forschungen bei a.r.t.e.s. ins Gespräch zu bringen. Vor Kurzem hat beispielsweise der brasilianische Ethnologe Marcello Muscari mit einem Gaststipendium von „a.r.t.e.s. international – for all“ bei uns gearbeitet und wird demnächst für weitere Forschungen mit einem DAAD-Stipendium ans Lab zurückkehren. Muscari forscht zur brasilianischen Umbanda-Religion in Brasilien und Deutschland und untersucht damit eine religiöse Verflechtungsgeschichte in situ: Wie übersetzen sich Dinge durch Zeit und Raum, und wie werden sie vor Ort neu konzipiert und umgesetzt? Die ehemaligen Postdocs des Research Lab, die eigene Folgeprojekte und Mittel eingeworben haben, können die Vorteile des Labs in diesem Rahmen weiterhin nutzen: die Räumlichkeiten und die großartige Infrastruktur bei a.r.t.e.s., die die Vernetzung mit Doktorandinnen und Doktoranden und der gesamten Fakultät ermöglicht. Es wäre toll, wenn die Fakultät Möglichkeiten fände, dafür in einem begrenzten Umfang Anschubmittel zur Verfügung zu stellen, über die Postdoktorandinnen und Postdoktoranden – sowohl aus dem Ausland wie auch der Fakultät – im Lab angedockt werden können und die dann neue Forschungen für die Universität entwickeln.

Dann wird es natürlich auch darum gehen, das Research Master-Programm bei a.r.t.e.s. weiterzuentwickeln, dessen Lehre ja zur Zeit noch vom Lab getragen wird. Das Programm hat sich über die letzten Jahre erfolgreich etabliert und regt Studentinnen und Studenten an, bereits in der Masterphase eigene Forschungsideen zu entwickeln und diese in einer Promotion weiter zu führen. Die Studierenden gewinnen Selbstbewusstsein in den interdisziplinären Diskussionen und werden an die Wissenschaft herangeführt. Diese Form der forschungsorientierten Lehre hat sich sehr bewährt. Die dringende Frage ist, welche neuen Formate die Lehre garantieren, auch wenn die Juniorprofessuren auslaufen: etwa eine Klassenarbeit mit Mentorinnen und Mentoren, ähnlich wie es sie für die Promovierenden im Integrated Track schon gibt. Oder verstärkte Kooperationen mit den verschiedenen Forschungszentren der Fakultät, wie wir es in diesem Wintersemester etwa mit den Cologne Media Lectures anbieten.

Aktuell sind wir dabei, die a.r.t.e.s.-Ringvorlesungsreihe für das Sommersemester festzuzurren. Unter dem Titel „Bewegliche Mythen“ wird sie sich in Kooperation mit dem Kolumba-Museum und der Kunsthochschule für Medien mit dem Themenkomplex ‚Kunst – Religion – Medien' beschäftigen. Die Vorlesungsreihe begleitet eine gleichnamige Ausstellung, die ab Juni 2018 im Kolumba zu sehen sein wird und die die Forschungen des Ethnologen und Filmemachers Michael Oppitz ins Zentrum stellt. Oppitz war in vielerlei Hinsicht ein Grenzgänger zwischen der Ethnologie und der Kunst. Er hat künstlerische Projekte in die Wissenschaft und das wissenschaftliche Denken integriert, und umgekehrt seine wissenschaftlichen Interessen in der Kunst realisiert – mit ethnographischen Filmen, fotografischen Arbeiten und auch als Buchautor. Wir laden Gastrednerinnen und Gastredner ein und lassen die Vorlesungen abwechselnd an der Universität und an anderen Orten in der Stadt stattfinden. Die Kooperation bietet eine schöne Möglichkeit, nicht nur die Arbeit an der Universität in die Stadt zu öffnen, sondern auch umgekehrt eben die Stadt an die Universität zu holen und Interessierte in die universitären Diskussionen mit einzubinden.

 

Wir danken Martin Zillinger für das Gespräch!